Frank Ahlgrimm, Peter Bösenberg, Alex Hanimann, Dieter Kiessling, Anthony McDonald, Christopher Muller, Moritz Neuhoff, Christine Rusche, Björn Siebert, Nikola Ukic, Markus Willeke

UNGEWISS

March 6 – May 4, 2018

Wir wünschen uns von der Kunst, dass sie etwas beschreibt, wovon wir selbst nur eine ungenaue Vorstellung haben. Kann Kunst aber auch Situationen beschreiben, die uns gänzlich vor ein Rätsel stellen, weil sie zu unübersichtlich oder zu unbestimmt, zu vielschichtig oder widersprüchlich, zu bedrohlich oder fremdartig sind und uns daher zu große Widerstände entgegensetzen?
In unserer Ausstellung möchten wir genau dieser Frage nachgehen. Wir zeigen sowohl figurative Arbeiten, deren Wirklich-keitsgepräge nicht in eine einsinnig interpretierbare Richtung verweisen, wie auch abstrakte Arbeiten, denen eine unterschwellige Vieldeutigkeit und Bedrohlichkeit innewohnt.
Gewissheit ist ein Wert, der für unser Lebensgefühl zentral ist. Wir gehen davon aus, dass uns unsere Sinne über die Welt Gewissheit verschaffen und dass die Welt selber eine Stabilität und Konstanz hat. Ungewissheit schieben wir daher zunächst auf die Zukunft, denn die Zukunft ist offen. Wenn wir mit dieser Offenheit nicht umgehen können, dann wünschen wir, dass die Gegenwart als Gegenwart beständig bleibt, dass die Gewissheit aus unserem Leben nicht verschwindet. Überraschende Entwicklungen verbuchen wir eher als Ausnahmen unserer konstanten Gegenwart. Dass die Gegenwart selbst aber nicht so gewiss ist, wollen wir eher nicht wahrhaben, sondern wenden uns lieber unseren stabilen Gewohnheiten zu.
Dass wir uns selbst ein Rätsel sind, dass wir nicht wissen, was mit uns geschieht, wie wir uns in bestimmten Situationen aufstellen sollen, interpretieren wir als kurzfristige Irritationen, von denen wir hoffen, dass sie schnell vorübergehen.
Wir haben für unsere Ausstellung recht unterschiedliche Kunstwerke ausgewählt, die sich bewusst auch in ihrer Tonlage unterscheiden, und sich gegenseitig herausfordern. Diese unterschiedlichen Tonlagen betreffen auch die Art und Weise, wie wir als Betrachter angesprochen werden.
Ungewissheit liegt nicht beziehungslos in der Welt, sie liegt in dem Beziehungsbereich zwischen der Welt und uns. Dieser Beziehungsbereich wird im Verlauf der Menschheitsgeschichte immer komplizierter, weil sich sowohl unsere Welt- wie auch unsere Ich-Erfahrungen in ihrem Wechselspiel verändern. Weder das, was wir als Welt, noch das, was wir als Ich heute fassen ist mit dem vor zweihundert Jahren vergleichbar.
In unserer Ausstellung wird es deswegen auch keinen stabilen Betrachter geben, sondern er wird von den einzelnen Werken in ganz unterschiedlicher Weise angesprochen und muss sich in ganz unterschiedliche Konstellationen einfinden. Diese können heiter, humorvoll, seltsam, verblüffend, unverständlich, bedrohlich oder fast nicht wahrnehmbar sein.

Bei Frank Ahlgrimm sticht die Bedrohlichkeit des Materiellen aus seinen unterschiedlichen Texturen hervor. Seine Werkgruppe der Cuts ist beherrscht von dem Gegensatz von pastoser dunkler Farbe, dunklen glatten Flächen, aus denen ein Licht aufscheint, und scharf eingeschnittenen schmalen geometrischen weißen Furchen, die dem flächigen Schwarzen eine befremdende Räumlichkeit als schmales Fenster zu etwas Anderem aufzwingen, eine Räumlichkeit, die sich auch in verschiedene Richtungen windet. Auf was können wir hier vertrauen? Auf die geballte Materie, auf das sanfte Sich- Entfalten oder auf den schneidenden Prozess – dies alles auf engstem Raum vereint?
Peter Bösenberg beobachtet mit seinem Kamerainstrument unsere Umgebungswirklichkeit. Ihn fasziniert, dass diese Umge-bungswirklichkeit als gegeben und zumeist ohne Irritationen wahrgenommen wird. Wenn dann aber Bösenbergs Auge richtig fokussiert und wenn dieses Auge sich auf das Erscheinen des Lichts als Bedingung aller Sichtbarkeit momentgenau einrichtet, dann tritt diese Umgebungswirklichkeit in den auf diese Weise entstandenen Bildern nicht mehr als ein neutraler Raum mit vielen verschiedenen Dingen auf. Die Dinge sind dann in ein Beziehungsgeflecht eingerückt, welches uns unverständlich oder absurd erscheint und sie fangen an, einen emotionalen Druck oder emotionale Suggestionen auf uns auszuüben, so dass uns die Gewissheiten entschwinden.
Alex Hanimann findet immer wieder Konstellationen in unserer Welt, die nicht nach vorgegebenen Regeln zu funktionieren scheinen und die unsere Erwartungen auf vorgegebene Verhaltensvoraussagen unterlaufen. Vor Jahren stieß er auf erste Fotofallenbilder, die in ihrer Bildform das eingespielte Gegenüber von Apparat und Bildgegenstand anders aufmischen. Der Apparat erzeugt hier ein Erschrecken, macht die Gewißheit des Unbeobachtetseins zunichte und forciert paradoxerweise die ansonsten gemiedene Gegenüberstellung zwischen dem fremden Wesen und uns. Wir blicken in einem forcierten Moment auf ein Wesen, welches uns, obwohl wir gar nicht anwesend sind, mit seinen betonten Augen fixiert und bannt. Gleichzeitig ist die Szenerie, in der diese gewaltsame Gegenüberstellung geschieht, ins Unbestimmte, Undeutliche entrückt.
Dieter Kiesslings Arbeiten kreisen um die unterschiedlichen Weisen von Selbstversicherungen. Die selbstverständliche Versicherung über unsere Umgebungswelt ist unser Sehen. Wir können unser Sehen lenken, es in die Welt hinein- und umherdirigieren und auf bestimmte Dinge fixieren. Was notwendig ist, um etwas in der Nähe oder in der Ferne zu fixieren, darüber stellen wir keine Mutmaßungen an, weil uns diese Möglichkeiten als selbstverständlich erscheinen. Wir können an uns herunterschauen, wir können aber nicht uns selbst im Sehen sehen. Dafür brauchen wir Hilfsmittel. Das früheste Hilfsmittel waren spiegelnde Wasserflächen. Später konnten wir metallisierte Glasflächen als Spiegel herstellen und noch später Apparate, die uns anschauen können. Schließlich Apparate, die uns nicht nur anschauen, sondern auch fixieren können. Können die Apparate auch sich selbst sehen und fixieren? Lassen wir sie in einen Spiegel schauen, werden sie wissen, ob sie die Glasscheibe mit dem scharfen Rand oder ihr Bild in der Glasscheibe fixieren sollen? Wie versichern wir uns des Zugriffs in unserer Selbstversicherungsbemühung?
Anthony McDonald konzentriert sich auf das Einfache. Aber ist das Einfache auch wirklich einfach? Wir sehen einen Baum in der Sonne. Von ihm und uns entfernt sehen wir seinen Schatten. Wo befindet sich der Schatten? Er kann nicht wie der Baum für sich allein stehen. Er braucht einen Träger, eine Fläche, auf die er fällt. Diese Fläche kann in der Welt draußen sein, sie kann aber auch räumlich vom Schatten getrennt drinnen sein, in einem Haus, in das das Licht durch ein Fenster eindringt. Der Schatten auf der Innenwand ist aber auf einmal nicht mehr nur der Schatten des Baumes, sondern zugleich der Schatten des Fensterskreuzes, welches sich mit dem Schatten des Baumes vermischt. Sind beide Schatten eine Beziehung eingegangen und wie stehen sie zu der Wand? Hat der Schatten die Wand verändert? Ist die Farbe der Wand eine Beziehung mit dem Schatten eingegangen, bleicht sie langsam im Licht aus? Was ist das Flüchtige, das Imaginäre, was das Stabile?
Christopher Muller untersucht die Beziehungsvielfalt in unserem Alltag. Was nehmen wir von unserer direkten Umgebung wahr, wie stehen wir mit ihr im Kontakt? Wir nehmen diese Umgebung wahr und zugleich übersehen wir sie. Wir sind zwar in ihr orientiert, doch welche unterschwelligen Beziehungen sich in ihr aufbauen, geht an uns vorbei, wir bringen nicht die Konzentration auf, genauer hinzusehen, unseren Blickwinkel einzustellen und eine Fokussierung vorzunehmen. Wir greifen Einzelnes heraus, wenn wir uns im Suchmodus befinden, wir stellen Einzelnes zu anderem, wenn wir uns im Ordnungsmodus befinden. Aber können wir uns von unseren Interessensmodi lösen und ein allgemeineres Bild von dem Bezugsgeflecht dieser Umgebung gewinnen? Kehrt der vertraute Blick in den Spiegel nur Vertrautes hervor? Zeigt der offene Blick in mein Umfeld nur die Gegenwart oder ist die Vergangenheit miteingeschlossen? Zeigen sich in dem offenen Blick nicht verschiedene Bezüge auf mich, mein Leben, meine Zeit und darauf, wie sich meine Umgebung für mich entfaltet und sich zugleich vor mir versteckt?
Moritz Neuhoff erfindet in seiner allchemistischen Malküche ständig neue Prozesse der Überlagerung von Strukturen, die darauf angelegt sind, die entscheidenden bildlichen Faktoren: wie Farbbewegung, Farblicht und Farbraum in ein immer wieder neues Verhältnis zu führen. Diese Prozesse scheinen nicht gelenkt zu sein, obgleich sie andererseits auch nicht diffus oder chaotisch wirken. Sie verdichten sich nicht zu Sinnfigurationen, zugleich sind sie aber nicht sinnentleert. Die Malbewegungen verströmen eine Energie, die uns Betrachter anzieht und durch die ungewöhnliche Farbigkeit und das atmosphärische Licht in sie eintauchen lässt, ohne dass wir zu einem geregelten Verständnis gelangen, weil immer unterschiedliche Raumebenen uns Unterschiedliches zu sagen scheinen. Diese Raumebenen greifen ineinander ohne sich zusammenzuschließen. Wir vermögen nicht zu sagen, ob sie sich organisch oder anorganisch aufeinander beziehen und ob es sich um Prozesse unserer greifbaren oder ans Tageslicht gebrachten ungreifbaren Mikrowelt handeln.
Christine Rusche strukturiert plane Flächen und entwirft zugleich Räume. Sie treibt schwarze Farbe auseinander und fügt zugleich die weiße Leere als Gegenkraft zum Schwarz ein, so dass wir nicht abschätzen können, ob die Schwere des Schwarz überhaupt ohne die Kraft des gleißenden Weiß sein kann. Das Schwarz tendiert dazu, sich zu einem Körper zu verfestigen, dem jedoch vom Weiß seine Unversehrtheit sofort wieder genommen wird. Das Schwarz bedient sich der harten geometrischen Linie, um seine Kontur als etwas Unangreifbares, Künstliches zu setzen, als Leistung unseres Verstandes. Da dem Schwarz aber seine Binnendifferenzierung fehlt, läuft es mit seiner Kontur buchstäblich ins Leere. Aus einem breiten Volumen wächst es heraus, spitzt sich zu, um sich an der Spitze in einer leichten Rundung umzuwenden und in das Volumen zurückzufallen. An anderer Stelle aber hat es sich vom einschneidenden Weiß den Atem nehmen lassen und hat sich in den Randbereich versprengen lassen, – ein unaufhörliches Wogen der fassbaren und unfassbaren Kräfte gegeneinander.
Björn Siebert ist ein Liebhaber der bildlichen Rätsel. Sie ergeben sich für ihn aus dem minutiösen Nachvollzug widersprüch-licher ineinander gewundener menschlicher Handlungen. Unter Handlungen verstehen wir menschliche Bewegungsvollzüge, die aus einer Anfangskonstellation zu einem veränderten Ziel geführt werden. Bei den Bildern, für die sich Siebert interessiert, hat die Veränderung einer Anfangskonstellation zwar eingesetzt, aber im Verlauf dieser Veränderung ist dem Handlungsgefüge sein Ziel abhanden gekommen und man kann nur feststellen, dass das Geschehen in eine sinnlose Konstellation hineinwabert. Unsere Reaktion als Betrachter ist ungläubiges Staunen, humorvolles Lachen oder das Gefühl beklemmender Absurdität.
Nikola Ukic setzt künstliche, in ihrer Handhabung virtuelle Massen in Bewegung, um ihnen eine körperlich organische Anmutung abzuringen. In seinen Skulpturen stoßen polare Kräfte aufeinander, die in eine Auseinandersetzung miteinander treten. Das Künstliche sind die chemischen Prozesse seines bevorzugten Werkstoffes Polyurethan, denen in ihrer austreibenden Ausformung etwas Unvorhergesehenes, etwas grundlegend Prozesshaftes, etwas in einem beständigen Fluss Befindliches, etwas Unabgeschlossenes und damit gegen eine feste Form Gerichtetes innewohnt. Diese Künstlichkeit wird unterstrichen durch die material glänzende schwarze Farbe, die wir so aus der Natur nicht kennen. Diese Künstlichkeit paart sich aber mit einem körperlichen Volumen, das uns von unserem eigenen Körper oder aus der Natur bekannt ist. Im Falle der ausgestellten Skulptur sind dies riesige Blattformen, die sich unter dem Einfluss externer Kräfte gerundet haben. Diese Blattformen sind Projektionsfläche und Begrenzung medialer Bilder von natürlichen Dichtigkeiten, nämlich einem Feld von ineinander ver-schlungenen Disteln. Die künstliche Expansion streitet mit natürlichem Wachstum. Sie ist vermittelt durch menschliche Körperformung und befindet sich in einem offenen Ausgang als möglicher zyklischer Reigen.
Markus Willeke gehört zu den immer rarer werdenden Malern, die sich mit essentiellen Bestandteilen unserer gegenwärtigen Realität auseinandersetzen. Dabei hält sich bei ihm die Waage, einerseits der Schnelligkeit, Flüchtigkeit und Fragilität unserer Welt Bilder abzuringen, andererseits die Essenz des malerischen Tuns im Umgang mit dem schwierig zu beherrschenden Fluiden und Viskosen in neuer Weise zu verdichten. Insofern ist er immer zugleich gebannt von der malerischen Fläche in ihrer Ausdehnung wie auch von der Künstlichkeit realer Flächen in unserer Welt. Glasscheiben sind geradezu der Prototyp künstlicher Flächen. Kann man Glasscheiben malen, zu einem Bild werden lassen? Sie lassen sich nur malen, indem sie greifbar werden und zugleich ihre Ungreifbarkeit behalten. Sie sind an sich dunkel und doch lassen sie das Licht durch. Sie können das Unverfängliche, das Nachtausschwärmende einfangen. Wo will es hin? Ist es draußen oder drinnen bei uns? Was ist es? Bloß feiner Staub oder doch ein Wesen, wechselnd zwischen Flatterhaftigkeit und stillem Warten aufs Ungewisse.

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