DIETER KIESSLING

Gegen den Horizont

February 19 – April 14, 2023

Interview

Rolf Hengesbach and Dieter Kiessling talk about the exhibition. To watch the video on Vimeo click here for Part 1, here for Part 2 and here for Part 3.

Works

Plane 2, 2022, Videoprojektion, wandfüllend (videostills)

Pole, 2020, Videoloop, Maße variabel (videostill); Money, 2020, Videoloop, Maße variabel (videostill)

Dieter Kiessling entwickelt aus einem kritisch analytischen Verhalten zu unseren Medien prägnante Verdichtungen von gegenläufigen, existentiellen Grundstrebungen. Er greift einfache Vorgänge aus unserem Leben auf, löst sie aus dem diffusen Rauschen unseres Umwelterlebens heraus, fokussiert und konzentriert sie als mediale Darstellungen. In ihrer Ambivalenz werden diese Vorgänge dann lesbar als Selbsterfahrungsprozesse, etwa beim Blick in den Himmel oder in die Wellen des Wassers oder auf den Endpunkt einer Rolltreppe, an der sich ein kleines periodisches Geräusch festgesetzt hat. Entscheidend ist hier aber die Fassung des Ausschnittes, der perspektivische Zugriff, die passende Zusammenführung von Bild und Ton und die mediale Stabilisierung eines Moments. In der Darstellung der Medien findet für uns eine Wahrnehmungsverdichtung statt. Die Vorgänge selbst sind einfache Bewegungsabläufe, meist Geringfügigkeiten, keine Handlungen oder Erzählungen von menschlichen Ereignissen, und dennoch ist der Mensch unsichtbar der Mittelpunkt und der Adressat dieser Vorgänge, weil nur er über seine Erwartungen diese Vorgänge entschlüsseln, sie mit Bedeutungen und Sinn aufladen kann, so dass sie in ihrer Medialität als abstrakte Selfies gelesen werden können.

Plane 2: An einem makellos blauen Himmel tritt ein winzig kleines Flugzeug in unser Gesichtsfeld. Es beschreibt eine gerade Linie und wird in wenigen Augenblicken wieder aus unserem Gesichtsfeld verschwunden sein. Nichts weiter. Es bewegt sich so gleichmäßig, mühe- und schwerelos und hinterlässt vier feine weiße Kondensstreifen am Himmel. Zuerst unmerklich holt das bildliche Medium es langsam näher an uns heran. In dem Wabern seiner zunehmenden Unschärfe wird der technische Körper schließlich zu einem Wesen, welches in den beiden farblichen Grundtönen blau und rot hin und herschwankt und uns in seinem regelmäßigen Zucken immer mehr an unsere eigene Lebendigkeit gemahnt, unser im Takt schlagendes Herz vor Augen führt. Im Überhandnehmen der zuckenden weißen Blitze wächst unsere Erkenntnis, dass alle Sichtbarkeit und alle Zuwendung zur Welt nur auf der Basis des Lichtes möglich und unsere Aufnahme und Deutung des Lichtes nur an und aus unserem Körper heraus stattfindet. Der Blick in den blauen Himmel, in ein unbeschriebenes, makellos blaues Wahrnehmungsfeld als das Offene, Ungreifbare, Entzogene, in einen scheinbar freien Raum, kippt im Verlauf von knapp 10 Minuten um in einen Blick auf uns und unser eigenes Blicken. Aus dem anvisierten, technischen Körper als Gegenüber wird in dem medialen Umformungsprozess etwas Organisches, welcher zu einer Identifikation mit dem Objekt führt und dann in eine Reflexion über unser Lebendigsein mündet.

Money: eine Rolltreppe bewegt sich auf ihr Endpodest mit dem Verschlussscharnier zu, dort klappert regelmäßig ein kleiner Penny. Er wird durch die Wucht der erbarmungslos sich nach vorne bewegenden Mechanik immer wieder angestoßen, aber der Impetus ist nicht stark genug, um ihn über die Verschlussschwelle zu befördern: ein hilfloser Spielball übergeordneter Kräfte, der aber gleichzeitig in eine Periode eingetreten ist, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint. Die Rolltreppe dient der Höhenüberwindung, sie ist etwas Transitorisches, der Penny bleibt aber im Aufsteigen gefangen, er stößt an eine unüberwindbare Grenze. Er artikuliert den Kreislauf des Lebens, insofern als jeder Tag gleich beginnt und gleich endet, immer ein kleines Stück vor und zum Anfang zurück, ähnlich wie das Jahr, es gibt keinen Fortschritt, keine Veränderung, nur ein gleichmäßiges Pulsieren eines Kreislaufes. Und doch hat der Penny eine so gute waagerechte Lage, dass er nicht vom Schlund verschluckt wird, der ihn vermutlich zermalmt hätte.

Pole: ein Fahnenmast steht wuchtig und starr gegen einen blauen Himmel aufgerichtet, auf dem kleine zarte Wolken ziehen. Ein heftiger Wind treibt nicht nur die Wolken an, sondern lässt auch die nur leicht gespannten, hinter dem Mast versteckten Metallseile, mit denen die Fahnen hochgezogen werden, ins Blickfeld treten und im Takt gegen den Mast schlagen. Zu diesem Geräusch gesellt sich ein anderes, ein Glockengeläut. Beide Geräusche mit ihren unterschiedlichen Takten überlagern sich. Glocken laden zu einem Gottesdienst an einem in der Nähe befindlichen Ort ein, die Wolken hingegen driften in eine unerreichbare Ferne. Der Wind, der die Wolken antreibt, markiert im Schlagen der Seile das Hier. Der Fahnenmast ist ein Symbolträger, an ihm werden Signale an unser soziales Miteinander sichtbar gemacht, während die Glocken, die zu einer Veranstaltung einladen, eine andere Gemeinschaftlichkeit ansprechen. Das Seil transportiert die Bedeutung der Fahne in die Höhe. Durch unsere Hände wird das Seil hochgezogen. Es vertritt uns. Die starre Stange verbindet den Boden, auf dem wir stehen, mit dem Oben, wohin wir häufig unsere Wünsche projizieren und von dem wir mitunter unser Heil erwarten. Klänge sind Schwingungen, die sich mit dem Wind bewegen und die wir entziffern können. Die Wolken im makellos blauen Himmel hingegen sind ein nicht greifbares Element, nur manchmal entziffern wir sie als weißer Schattenriss von Dingen oder Wesen, die sich in den Himmel schreiben. Wir sind hin und hergeworfen zwischen dem Fernen und dem Nahen, zwischen dem Oben und dem Unten, zwischen dem Starren, welches uns hält und dem leicht Beweglichen, welches Schwingungen ermöglicht.

Divide: Wellen auf einem Wasser, die sich kontinuierlich in die Ferne bewegen, entstanden durch ein Schiff, welches sich zu einem nicht sichtbaren Ziel bewegt und die Wellen hinter sich lässt. Die Wellen sind geteilt in zwei Pole, die sich zu den Rändern am stärksten ausgebildet haben, links ein Aufschäumen der Wellen ins Helle, Lichte, rechts ein Aufschäumen ins Dunkle, rauchig Verbrannte. Gegen die Mitte zu scheinen die Wellen schwächer zu werden und zu einem Ausgleich zu kommen. In der Mitte tut sich ein beruhigter grauer Graben auf. Werden wir dort hineinfallen? Das Boot, von dessen Heckseite aus diese Wellenereignisse aufgenommen wurden, ist nicht sichtbar, es gibt keine menschlichen Geräusche, nur das gleichmäßige Rauschen der Wellen. Wir finden keinen Anhaltspunkt für die Schnelligkeit von Bewegung, findet sie überhaupt statt? Gibt es ein Ziel oder gibt es nur das ewige Spiel der Kräfte ohne Fortschritt oder Entwicklung, in die positive aufstrebende Richtung und in die negative vernichtende Richtung? Ein Filmtitel aus den siebziger Jahren lautete: ‚in Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod’.

Der Ausstellung haben wir den Titel ‚Gegen den Horizont’ gegeben. Der Titel ist doppeldeutig. Die Präposition ‚gegen’ kann räumlich als Hinwendung zu, auf ein Ziel gemeint sein, sie kann aber auch die Konfrontation bezeichnen. Auch der Horizont ist ein eigenartiges Phänomen: Er ist das gerade noch Sichtbare in äußerster Ferne, wir können ihn aber nicht erreichen. Er ist nichts Festes, sondern eine imaginäre Grenze. Gleichzeitig ist er dasjenige, welches gegenüber allem den Hintergrund bildet. Übertragen auf unser Leben kann es beide Tendenzen geben, den Hintergrund von allem Tun anzunehmen oder sich vom Hintergrund lösen zu wollen, ein dialektisches Hin- und Her von Gefangenschaft und Befreiungsversuchen. Dieter Kiesslings neue Videoarbeiten führen uns prägnant diese Ambivalenz vor.

Dieter Kiessling develops concise condensations of contrary, existential basic strivings from a critical analytical attitude towards our media. He takes up simple processes from our lives, detaches them from the diffuse noise of our environmental experience, focuses and concentrates them as media representations. In their ambivalence, these processes then become legible as processes of self-experience, for example when looking up at the sky or the waves of the water, or at the end point of an escalator where a small periodic noise has settled. What is decisive here, however, is the framing of the excerpt, the perspective access, the appropriate merging of image and sound, and the media stabilization of a moment. In the representation of the media, a compression of perception takes place for us. The processes themselves are simple sequences of movements, mostly trivialities, no actions or narratives of human events, and yet the human being is invisibly the center and the addressee of these processes, because only he can decode these processes via his expectations, charge them with meanings and sense, so that they can be read in their mediality as abstract selfies.

Plane 2: In an immaculate blue sky, a tiny airplane enters our field of vision. It describes a straight line and will have disappeared from our field of vision in a few moments. Nothing more. It moves so smoothly, effortlessly and weightlessly, leaving four fine white contrails in the sky. Imperceptibly at first, the visual medium slowly brings it closer to us. In the wafting of its increasing blurriness, the technical body finally becomes a being that swings back and forth in the two basic color tones of blue and red, its regular twitching reminding us more and more of our own liveliness, showing us our heart beating in time. In the prevalence of the twitching white flashes, our realization grows that all visibility and all attention to the world is only possible on the basis of light, and that our reception and interpretation of light only takes place on and out of our bodies. The view into the blue sky, into an undescribed, immaculately blue field of perception as the open, intangible, de-gene, into a seemingly free space, tips over in the course of just under 10 minutes into a view of ourselves and our own gazing. The targeted, technical body as a counterpart becomes something organic in the medial transformation process, which leads to an identification with the object and then into a reflection on our being alive.

Money: an escalator moves toward its end platform with the shutter hinge, there a small penny rattles regularly. He is pushed again and again by the force of the mercilessly moving forward mechanics, but the impetus is not strong enough to carry him over the closing threshold: a helpless plaything of superior forces, but at the same time he has entered a period from which there seems to be no escape. The escalator serves to overcome heights, it is something transitory, but the penny remains trapped in the ascent, it comes up against an insurmountable limit. It articulates the cycle of life, insofar as every day begins the same and ends the same, always a little way forward and back to the beginning, similar to the year, there is no progress, no change, only a steady pulsation of a circular blue. And yet the penny has such a good horizontal position that it is not swallowed by the maw, which would probably have crushed it.

Pole: a flagpole stands bulky and rigidly erect against a blue sky on which small delicate clouds are drifting. A fierce wind not only drives the clouds, but also makes the only slightly taut metal ropes hidden behind the pole, with which the flags are hoisted, come into view and beat against the pole in time. This sound is joined by another, a ringing of bells. Both sounds with their different beats overlap. Bells invite to a church service at a nearby place, the clouds, on the other hand, drift into an unreachable distance. The wind that drives the clouds marks the here in the beating of the ropes. The flagpole is a symbol carrier, signals to our social togetherness are made visible on it, while the bells, inviting to an event, address another communality. The rope transports the meaning of the flag to the heights. Through our hands the rope is pulled up. It represents us. The rigid pole connects the ground on which we stand with the above, where we often project our wishes and from where we sometimes expect our salvation. Sounds are vibrations that move with the wind and that we can decipher. The clouds in the immaculate blue sky, on the other hand, are an intangible element, only sometimes we decipher them as the white silhouette of things or beings writing themselves in the sky. We are tossed back and forth between the distant and the near, between the above and the below, between the rigid that holds us and the easily movable that enables vibrations.

Divide: Waves on a body of water moving continuously into the distance, created by a ship moving towards an invisible destination, leaving the waves behind. The waves are divided into two poles, which are strongest towards the edges, on the left a foaming of the waves into the bright, light, on the right a foaming into the dark, smoky burnt. Towards the center, the waves seem to weaken and come to a balance. In the middle, a calmed gray trench opens up. Will we fall in there? The boat from whose stern these wave events were recorded is not visible, there are no human sounds, only the steady rush of the waves. We find no indication of the speed of movement, is it happening at all? Is there a goal or is there only the eternal play of forces without progress or development, in the positive upward direction and in the negative destructive direction? A film title from the seventies read: ‚in danger and greatest need the middle way brings death‘.

We have given the exhibition the title ‚Against the Horizon‘. The title is ambiguous. The preposition ‚against‘ can be meant spatially as a turning towards, towards a goal, but it can also denote confrontation. The horizon is also a peculiar phenomenon: it is what is just visible in the farthest distance, but we cannot reach it. It is not something fixed, but an imaginary boundary. At the same time, it is that which forms the background to everything. Transferred to our life, there can be both tendencies, to accept the background of everything we do or to want to break away from the background, a dialectical back and forth of imprisonment and attempts of liberation. Dieter Kiessling’s new video works succinctly demonstrate this ambivalence to us.