Ulrich Wellmann
April 30 – June 14, 2019
Man stelle sich vor, drei oder vier recht unterschiedliche Menschen begegneten einander und fingen an, sich zu unterhalten und es entwickelte sich ein farbiges Gespräch. Der erste Sprechende würde mit seinen Bemerkungen den Grund für das Gespräch legen, die anderen bauten mit ihren Gesprächsbeiträgen darauf auf, würden auf die Gedanken der Vorredner antworten und sich vielleicht über ihre eigenen Gedanken wundern, zu denen sie herausgefordert wurden. Müsste man aus der Erinnerung das Gespräch wiedergeben, so würden die unterschiedlichen Gedanken sich vermischen, sie wären nicht mehr klar zu trennen, weil ja auch die Ausgangsgedanken sich durch den Einfluss der anderen Redebeiträge in ihrer Färbung verändern. Und auch die einzelnen Teilnehmer würden sich darüber wundern, welchen Windungen und Wendungen sie sich ausgesetzt sehen.
Man kann die Bilder von Ulrich Wellmann als Gespräche der Farben über das Leben ansehen. Die Farben vertreten bestimmte Charaktere, die im Miteinander in einem bestimmten Licht erscheinen und von ihrer Eigenart, von ihrer Lebensenergie und ihrem Lebenswillen erzählen. Keine der Farben ist aber konstant in ihrem Buntwert und in ihrem Ton. Denn im Auftrag der Farben mit einem Pinsel kann sich die Farbmenge je nach Druck und Führung des Pinsels ganz unterschiedlich auf dem Malgrund verteilen. Kommen nun andere Farben hinzu und malt man nass in nass, so vermischen sich die Farben und Töne, die Charaktere nähern sich einander an bis hin zu zartesten Nuancen und Farbverschiebungen. Wenn die Malbewegungen nicht auf einzelne Bereiche des Bildfeldes eingegrenzt sind, sondern auf das Ganze ausgreifen, so sind diese Charaktere ununterbrochen aufeinander bezogen, treffen aufeinander, weichen aus, winden sich umeinander. Und da Wellmanns Pinsel in fortwährender Bewegung verbleibt, ständig die Richtungen wechselt und das Kreisen und Schwingen ganz unterschiedlichen Radien folgt, kann man die Charakterspuren kaum mehr auseinanderhalten. Die unterschiedlichen Stimmen befinden sich nicht mehr in einem Nacheinander, sondern in einem Zugleich.
Da aber immer eine Farbe den Grund des Gesprächs, d. h. den Bildgrund angelegt hat, erscheinen die anderen Tönungen aus ihm herauszuwachsen. Das Leben hat immer gewisse Ausgangspositionen, aus denen seine Aktivitäten heraustreten und die nicht nur Neues dem Leben hinzufügen, sondern auch die Ausgangsposition immer stärker unkenntlich machen. Da die Bewegungen des Lebens niemals aufhören, kann man es als ein Kreisen ansehen, welches in Spiralen ständig Über sich Hinausgeht und auch wieder auf sich zurückkommt. Normalerweise vergessen wir in unserem Leben die Reichhaltigkeit der Ausgangsposition mit den vielen angelegten Möglichkeiten. Da aber in Wellmanns Bildern der Bewegungsraum des Lebens auf eine beschränkte Fläche verdichtet ist, bleibt doch alles erhalten. Der Dialog mit sich, das Fortspinnen der Bewegung wird als beständiger Rückbezug und fortgesetzte Modifikation erkennbar.
Die Fläche des Bildes ist Bühne, auf der sich der Reichtum des Lebens aufführt. Der Reichtum ist nicht eine unüberschaubare Vielfalt verschiedener Buntwerte, sondern ist zunächst die Beschränktheit auf wenige grundlegende Differenzen, die sich dann in einen Reichtum feiner Nuancen auseinanderfalten und die sich in einem ständigen Rückbezug auf den gelegten Bildgrund aus ihm erheben. Weiter malen ist daher nicht nur der Ansporn, in dem bisherigen Habitus des Lebens fortgesetzte Anstrengungen zu unternehmen, sondern das Weiter ist das Nicht Ablassen können von sich. Leben ist die Änderung, Umwenden, einen neuen Haken Schlagen, die Spirale weiterdrehen und genauso fortgesetztes Zurück-in-den-Spiegel-Schauen. Nur dass, ähnlich wie eine Spinne im Netz diese niemals ihr vollständiges Netz erschauen kann, weil sie unausgesetzt mit dem Weiterspinnen beschäftigt ist, so ist auch das Narzistische in den Spiegel-Schauen kein neutraler Blick in eine Vollständigkeit, sondern eine ständige getrübte Sicht auf neu aufkommende Verfärbungen und Reagieren auf diese Verfärbungen ist. Das Weiter ist nicht nur der anspornende Anspruch auf ein Nicht-Nachlassen, sondern zugleich die Rastlosigkeit des Zum-nicht-Aufhörendürfen-Verdammtseins.
Wellmanns Kontrastsetzungen in seinen Farbgrund sind im Verlauf der letzten Jahre immer dynamischer und umspannender geworden, nicht mehr auf lokale Bildgegenden beschränkt, sondern alles mitreißend. Aber auch die Kontrastwerte selbst sind pulsierender geworden: schärfer in der Gegensetzung und gleichzeitig in ihrer modulierenden Veränderung, in der eigenen reflektierenden Zurücknahme. Die ehemals schwebenden Balancen sind gekippt, so dass sich Bildgrund und Formverläufe gar nicht mehr so genau auseinanderhalten lassen und es immer unbestimmter ist, wer wen mitzieht, ob der Ausgangspunkt das sich entwickelnde Leben noch hält oder letzteres den Ausgangspunkt mitfortreisst in eine ungewisse Zukunft.
Das Weitermalen wird für Wellmann zu einem immer riskanteren Geschehen. In der Intensivierung und in dem stärkeren Ausgreifen der Malbewegung, in der drastischeren Modulation der Buntwerte und Töne ist das Leben viel viel lauter und schriller geworden. Die Wogen glätten sich nicht mehr in dem Meer der Bewegung. Das Kreisen des Lebens ist zugleich Steigerung, Ausgreifen aufs Ganze und mögliche Entgleisung.