Jürgen Paatz
February 9 – March 21, 2025
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Untitled – was kann man darunter in der Malerei verstehen? Es gibt keine Vorgabe, keinen Plan, keinen Entwurf, der zu etwas anleitet. Daraus ergibt sich die fragile Balance zwischen einer subjektiven Willkür und einer vom Maler innerlich gefühlten Notwendigkeit, die sich aber im Verlauf des Malens in eine äußere Stimmigkeit übersetzen muss. Die Malerei fängt mit sich selbst an, sie setzt ihren eigenen offenen Anfang. Diese scheinbar größte Freiheit ist aber gebunden an die Geschichte der Malerei, die im Verlauf von siebenhundert Jahren die vielfältigsten Möglichkeiten des malerischen Tuns im Umgang mit Farbe und ihrem Auftrag auf eine Fläche entwickelt hat. Sie ist auch gebunden an unser kulturelles Auge, welches die Resultate immer wieder überprüft, wobei das Auge des Malers mit dem des Betrachters zunächst auseinander fällt. Das Tun des Malers ist motiviert von der Abwendung zur Tradition und von der Hinwendung zu etwas Neuem. Wenn die Vorgabe ‚Untitled’ ernst genommen wird, dann ist letzteres noch in keiner Weise konkretisiert. Sobald die Materialität des Malens angegangen wird, dann ist nicht nur die Hand, sondern auch das Auge anwesend, welches prüft, urteilt und kritisiert oder gewähren lässt. Diese Rückkopplung der Hand an das Auge ist bei jedem Maler anders entwickelt.
Das Auge kann zurückgenommen sein, es wartet ab, wohin der Wille die Hand führt, im Extremfall kommt es erst ganz zum Schluss ins Spiel. Das hängt auch davon ab, wie sehr ein strategischer Wille und eine Zuversicht im Hinblick auf die eigene Erfahrung oder auch auf die Erfahrung von Anderen als nachahmende Vorgabe das ganze Geschehen beherrscht. Es hängt aber auch davon ab, wie feingliedrig und zart die Vorgaben der Hand sind, denn hier ist das Auge recht bald gefordert.
Wie stark bleibt die Neugier und das Wachhalten am Verlassen von eingeschlagenen Wegen im Spiel? Jürgen Paatz ist ein Maler der Feingliedrigkeit und der wachgehaltenen Neugier auf Abweichungen. In seinen Anfängen hat er das klassische, auf Keilrahmen aufgespannte Bild radikal verlassen und in einer, der italienischen Arte Povera vergleichbaren Einstellung, im Malerischen die Sinnlichkeit des material Einfachen zu entfalten gesucht. Das Schrundige des Erdhaften, des Elementaren nahm er in einer die lyrischen Aspekte betonenden Weise auf und reicherte es so an, dass es mit seinen Vibrationen mitunter in etwas Organisches umschlug.
Erst in seinen jüngeren Arbeiten ist er zum klassischen Tafelbild zurückgekehrt. Sein Ausagieren in den großen Gesten hat sich zusammengezogen auf die intimere Fläche. Auf ihr legt er die vielfältige Welt der minimalen Abweichungen auseinander. Wo hört etwas auf dasselbe zu sein, wo fängt das Neue an? Wo im Begrifflichen die harten Unterschiede gesetzt werden, kann das Malerische im Stillen Grenzen überschreiten und dabei immer wieder neue Sichtpunkte oder –achsen anlegen.
Nicht harte Brüche, sondern weiche Übergänge bevorzugt er. Das lässt sich schon an der Wahl seiner Farbe feststellen. Er verwendet weder Ölfarbe noch Acryl, sondern Eitempera und Dispersion, deren Erscheinung weicher und deren Übergänge in die Farben zarter ist.
Paatz hört stärker als früher auf sein Auge, das jede seiner Bewegungen minutiös begleitet, reflektiert und ihm dabei zuflüstert: Finde die richtige impulsive Attacke, um das Bild zu starten, suche das Unvorhergesehene, verlasse den eingeschlagenen Weg, lass dich ständig überraschen, führe unentwegt einen Dialog mit dir, richte alle Sensibilität auf abweichende Entfaltungen, aber forciere sie nicht, sondern lass sie geschehen. Jeder Pinselstrich geschieht gerade nicht aus einem Schema, aus der sicheren Erfahrung. Dafür nimmt Paatz immer wieder den kontrollierbaren Zufall in seine malerische Hand, sie steigert Wendungen und Drehungen, gleich einem virtuosen Musiker gibt sie sich neuen Melodielinien hin, die aber richtungslos sind, die kreisen, gleich einem Meditationsraum. Jede neue Richtung verständigt sich dabei aber mit dem zuvor Gesetzten und hält den Spannungsbogen als eine Spirale bis zuletzt offen: verwickle dich in dir selbst, schaffe dir ein eigenes Labyrinth und behalte die Zuversicht, am Ende doch herauszukommen, dich nicht gefangen zu halten.
Die Weite und Offenheit von Landschaft kann hier ein Vorbild sein. In ihr quillt, blüht immer wieder Anderes hervor. Sie setzt das Paradigma für Möglichkeiten, für deren Unbeschränktheit, für die Kraft, Möglichkeiten den Weg in die Wirklichkeit zu weisen. Gleichzeitig ist Landschaft für uns das Erfahrungsfeld für Raum, für die vielen Weisen, immer wieder andere Spuren, d. h. Abdrücke unseres Daseins legen zu können. In ihr finden wir die Aktionsräume, in denen unsere Handlungen konkret werden können.
Paatz’ vorherrschende Farbe ist das Erdhafte, welches dunkel sein kann, sich aber auch lichtet. Buntfarbigkeit ist sehr verhalten vorhanden. Buntheit ist auf Differenzsetzung angelegt, auf die Welt im Draußen ausgerichtet. Paatz’ Ausgangspunkte sind der Boden, auf dem wir stehen und unser Körper. Das Dunkle wendet sich häufig zum Lichten, dort ist es dann eher Haut als Himmel (blau), Licht (gelb) oder Feuer (rot).
Diesen Doppelaspekt von Aufquellen, Auftauchen und von Sich-Sedimentieren von Lebensaktivität thematisiert das Werk von Jürgen Paatz. Es ist dabei getragen von dem Optimismus, dass die Wege unserer Selbstfindungen und zugleich der Blick auf sie nicht versiegen.
Untitled – das Malen ist sein eigener Anfang und sein eigenes Ende und darin kann es sich zu einem Fest der Lebenswege und ihrer Betrachtung gestalten.