Dirk Eicken – Volker Wevers
September 18 – December 19, 2009
Volker Wevers großformatige Bilder changieren zwischen der Abbildung verzerrter Dingwelten und dynamisch rhythmisch verlaufenden Farbräumen. Sie scheinen wahrnehmbare Realitäten in pulsierende, sensuelle Innen- oder Modellwelten zu transformieren. Die wahrnehmbaren Strukturen könnte man als optische Verzerrungen – in Form von Spiegelungen auf gewölbten Oberflächen – einzelner Dinge interpretieren. Gleichzeitig aber lösen sich diese figurativen Erkennbarkeiten in Farbverläufe, Farbflächen oder Farbschattierungen auf. Figurative Deutungen bleiben schnell stecken, aber auch Deutungen hin zu vielschichtigen abstrakten Bildkompositionen wollen nicht gelingen. Beidem steht entgegen, dass die Bilder trotz ihrer großen Komplexität wie aus einem Guss erscheinen und man weder die zugrunde liegende Realität zu entdecken vermag, noch den Geist des Demiurgen, des Naturschöpfers, der diese Bilder mit einer solchen Sicherheit auszudenken vermag. Motivischer Ausgangspunkt für die Bilder sind Szenen unserer äußeren Welt, eine Straßenflucht mit Bäumen und Himmel, die Auslagen in einem Geschäft oder die Reelingaufbauten eines Schiffes. Wevers benutzt eigene Photographien als Vorlagen für seine Bilder. Sein Interesse ist kein dokumentarisches und auch kein an einzelnen Dingen orientiertes. Er geht Zusammenhängen nach, die sich nicht aus dem bloßen Beieinanderseins bestimmter Dinge ergeben, sondern von uns als Beobachtern und Interpreten von außen an sie herangetragen werden, das Licht, die Atmosphäre, die emotionalen Suggestionen, vor allem der räumliche Drive und die Bewegungsimpulse einer Szenerie. Wevers überführt seine Ahnungen und Eindrücke in ein spielerisches Umgehen mit dem photographischen Material. Er behandelt dabei die autonomen Gebilde der Welt wie Bildbestandteile. d. h. er setzt sie in die Abhängigkeit voneinander. Alles ist nur noch Farbe und Form. Als erzeugt von einer klassischen Malerpalette sind die gemalten Gebilde nur noch bezogen auf die Regie der Farbbewegungen des Pinsels. Zusammenhänge und Abgrenzungen zwischen Dingen werden in dieser Perspektive neu geregelt. Man kann dies mit dem Jonglieren sehr verschiedener Bälle vergleichen. Nicht mehr den unterschiedlichen Qualitäten der einzelnen Bälle, sondern ihren Bahnen, dem Rhythmus ihres zu- und voneinander Wegbewegens gilt die Aufmerksamkeit. Allein von der Handbewegung, von der Geste des Malers im Zusammenführen der Farben ist dieses Bewegungsspiel abhängig. Das Setzen der einzelnen Farbräume im Nebeneinander, der übergreifenden Aktionsräume von Bewegungsbahnen und -linien, der emotionalen Akzente ihres Zusammenspiels und seiner Dynamik, der materialen Konstellationen hat mit den einzelnen aufgegriffenen „Bällen“ nichts mehr zu tun. Aufgrund seiner malerischen Erfahrung gelingt es Wevers, die Pinselbewegungen sowohl zu einem malerischen Bild wie auch zu einem inneren Realitätszusammenhang zu verschmelzen. Dieser Realitätszusammenhang löst isolierte Formen auf, verflüssigt sie und erzeugt ein Meer unterschiedlicher Geschwindigkeitsströmungen. Jedes Ding, jede Form gerät in einen Schwebezustand und die gesamte Bildrealität artikuliert unterschiedliche Zustände der Haltlosigkeit unserer heutigen Welt, in der es keinen archimedischen Punkt mehr gibt. Vor nicht einmal zehn Jahren hätte man dafür die Technik der Collage und der verzerrenden Reproduktion verwendet. So wären einzelne Bildbereiche zerschnitten, versetzt, verschoben, farblich verfremdet oder auch verzerrt worden. Hinter diesem spielerischen Vorgehen hätte aber nach wie vor der Geist klassischer Komposition gestanden, der die einzelnen Elemente und ihre Trennung auf verschiedenen Ebenen bestehen lässt. Der heutige Umgang mit dem Computer als kompositorischem Helfer erlaubt aber eine verblüffende Steigerung an Möglichkeiten, indem die Getrenntheit der einzelnen Dinge, Einheiten oder Ebenen überwunden und ganz Verschiedenartiges zusammengeschmolzen werden kann. Wevers komprimiert, zerdehnt, polt um, beschleunigt Verläufe, stellt verblüffende Zusammenhänge her, isoliert dabei aber nicht, sondern hält alle Strömungen aufeinander bezogen. In seinen Verflüssigungen ist die ursprüngliche Szene nicht wiederzuerkennen. Das modellierende Auge des Malers hat sie zu etwas ganz anderem gemacht. Die Fluidität des Mediums Farbe wird in der Übersetzung in das große Format zu einem innerkörperlichen Bewegungsgestus, zu etwas Organischem. Aus einzelnen separierten Gegenständen werden weiche, zusammenhängende Zellgebilde, aus Flächen werden Ströme, die sich winden, verzweigen, zusammenfließen, werden Körpersäfte oder Geschmacksverläufe. In der Verschmelzung verschiedener Elemente oder Ebenen wird eine Körperlichkeit des Sich-Verausgabens aufgebaut. Es gibt für sie keine Vorbilder in der Realität. In der Modellierung seiner Gebilde setzt der Maler Schattierungen, Lichter, Farbkontraste, konturmäßige Abstufungen, Farbvolumina und ihren Verlauf. Wir als Betrachter suchen in den Schattierungsverhältnissen und der Größe der Farbvolumina nach Anhaltspunkten für die Interpretation von dinglichen Einheiten und ihrem räumlichen Kontext. Unser Auge fragt automatisch, ob zwei Farbflächen in einer Ebene liegen oder ob sich die eine hinter die andere wölbt und sich dadurch ein körperlicher Zusammenhang ergibt. Unbewusst orientieren wir uns immer danach, wie das Licht in die Welt fällt. Es scheint so selbstverständlich und doch wird uns erst in Bildern bewusst, welche realitätsprägende Kraft das Licht besitzt. Es belebt nicht nur die Welt, sondern stellt auch durch die Art seiner Verteilung und seiner Intensität einen eigenen räumlichen Zusammenhang her, der über die Nachbarschaft von Flächen hinausgeht. Bei Wevers ist die Lichtmodulation das zentrale Element, um seinen Formgebilden einen eigenen Realitätscharakter zu verleihen. Im Gegensatz zu heutigen Medienbildern, die mittels von plausiblen Lichterscheinungen ihren stilisierten Körperlichkeiten Glaubwürdigkeit zu verleihen suchen, setzt Wevers Licht magisch ein. Das Licht in seinen Bildern ist wie herbeigerufene fremde Geister, die man nicht versteht. Diesen Geistern wird eine Gegenwirklichkeit gegenübergestellt in Form von Schwarz. Schwarz ist nicht nur das Dunkle, visuell Unzugängliche. Es ist das Unheimliche, welches – obwohl für die Schattenzeichnung und das Volumen von Dingen als Schattierung verantwortlich – selber kein Volumen hat. Diese Ungreifbarkeit lässt es als gefährlich empfinden. Die Dialektik von Hell und Dunkel bildet eine surreale Basis in den Bildern. Weder das Helle, noch das Dunkle ist beschränkt auf einzelne Areale. Es durchzieht die Bilder in einer unvorhersehbaren Weise und erzeugt eine Dynamik. Der wandernde Blick stößt immer wieder auf Lichter mit einem linearen Bewegungsimpuls, der Schnelligkeit suggeriert, ohne dass es einen Träger der Geschwindigkeit gibt. Häufig ist das Licht als harte Kontur in der Form einer Lichtbahn in die Bildern gesetzt und gleichzeitig mit weichen Lichtflecken kontrastiert, die in eine Unbestimmtheit abtauchen und an anderer Stelle wieder auftauchen. Das Auge verbindet intuitiv diese Lichter. Es ist daher nicht einfach nur Beleuchtung sondern ein Wesen, welches sich aktiv mit dem Dunkel auseinandersetzt. Auf diese Schicht sattelt die emotionale Qualität der jeweiligen Farbklänge der Bilder auf. In vielen Bildern spielt ein farblicher Dreiklang eine konstitutive Rolle, wobei Wevers auf seiner Malerpalette die Sekundärfarben bevorzugt. Sie halten für uns schwankendere Gewissheiten bereit als die Primärfarben. Bei ihnen können wir noch weniger entscheiden, ob wir Seh- oder Empfindungsgebilde wahrnehmen und sie sind noch empfindlicher für den Kontext. Die Vielfältigkeit und Komplexität unserer äußeren Welt wuchert immer mehr. Zwar hilft uns die Sprache noch, Dinge zu trennen, in unseren Empfindungsvermögen kollabieren aber die Systeme, die die Dinge noch separieren. In Wevers Bildern verschwindet die dingliche Ordnung der äußeren Welt. Hier können wir nicht mehr auf einzelnes verweisen. Farbe an sich hat keinen Einzelcharakter, sondern ist in ihrem Empfindungswert gebunden an Nachbarschaft und Verlauf. Die Dynamik der Farbbahnen reißen in den Bildern alles in einen visuellen Empfindungstrudel. Die Gewissheiten verkehren sich. Es entstehen ganz andere sinnliche Orientierungen und von diesen vielfältigen Geschwindigkeiten und ihrer Haltlosigkeit sprechen Wevers Bilder. Dirk Eickens Bilder verwundern den Betrachter in mehrfacher Hinsicht: Sie sind von einer dramatischen malerischen Farbigkeit und haben doch andererseits einen so gleichmäßigen Farbauftrag, dass sie wie gedruckt aussehen. Sie scheinen aus mehreren übereinander geschichteten Bildern zu bestehen, die sich doch zugleich zu einem Bild komplizierter Zwischenräume zusammengeschlossen haben. Sie enthalten Bruchstücke menschlicher oder vegetativer Figuration und sind doch zugleich nur als abstraktes Geflecht malerischer Räume oder malerischer Gesten zu lesen. Eickens Bilder entstehen trotz andersartiger visueller Anmutung als klassische Öl-Lasur-Malerei mit dem Pinsel. Ihre leuchtende Farbigkeit und die fein modulierten farblichen Übergänge sind nur mittels dieser Entstehungsprozedur verwirklichbar. Selbst dort, wo die Farbe die Leinwand nur als Hauch in einem vorbei fliegenden Sprühnebel momenthaft zu berühren scheint, ist sie mit dem Pinsel aufgetragen. Es ist eine der Intentionen von Eicken, die Malerei nicht durch ihre Materialität bzw. materiale Spuren als Greifbares hervortreten, sondern sie als Unfassbares, als visuellen Schein wirken zu lassen. Paradoxerweise bringt gerade die Vermeidung von deutlichen Spuren des Entstehungsprozesses eine Nähe zur Photographie zustande, die selber keine Auskunft über ihren Herstellungsprozess gibt. Dirk Eicken ist an der Selbstbehauptung des Sehens interessiert. Die Farbe ist bei ihm keine dingliche Farbe, sie ist nicht entlehnt der Erscheinungscharakteristik bestimmter Dinge. Seine Farbe ist malerischer Impuls und hat mit Licht und malerischer Raumentfaltung zu tun. Die Farbe markiert mittels der Kontur die Fixierung von Formen. In Eickens Bildern lässt sich vielfach nicht entscheiden, ob ein farblicher Flecken Teil einer möglichen Figur oder als Element des offenen Bildraumes wirkt. Dem Sehen wird aber bald offenbar, dass die farblichen Flecken sich nicht einem dinglich interpretierbaren Zusammenhang fügen. Die Farbe gewinnt ihre Bedeutung nicht aus einem lokalen Zusammenhang der jeweils benachbarten Flecken, nicht aus dinglicher Statik, aus dem Ineinandergreifen dinglicher Teile oder Elemente, sondern aus einer übergreifenden Bildregie. Das durchdringende Farblicht leuchtet aus den Zwischenräumen genauso wie aus den dinglichen Fragmenten. Die Zwischenräume verlebendigen die ganze Szenerie, sie bilden das tragende Gerüst. Als das Unscheinbare und in unserem Sehen Vernachlässigte werden sie hier zum zentralen Ereignis. Ihr Zusammenhang entzieht sich einer verdinglichen Deutung. Eicken startet als Ausgangspunkt mit gegenständlichen Motiven als Rohmaterial. Um eine vorschnelle Deutung zu hemmen, lagert er Bilder übereinander. Er erzeugt darin eine bewusste Verwirrung. Unsere visuelle Entdeckungsneugier mag es befriedigen und seiner malerischen Virtuosität mag es schmeicheln, wenn die Quellen für die Bilder enthüllt werden, der Verstehbarkeit der Bilder hilft es nur bedingt. Einzig unser Auge hat den offenen Parcours des Sehens zu durchlaufen. In der Überlagerung vermeidet Eicken die Entstehung von zufälligen Fixpunkten und sein ganzes malerisches Streben ist darauf gerichtet, die ursprünglich vorhandenen Fixpunkte der einzelnen Bildvorlagen in ihrer Schichtung zu relativieren und sie in ein neues Gewebe einzubinden. Als Reservoir für seine Bildvorlagen hat Eicken ein riesiges Bildarchiv angelegt, teils eigene, teils fremde Photographien, bzw. Filmstills und teils Reproduktionen von Bildern der Malerei- oder Kulturgeschichte. Er verwendet den Computer als kompositorischen Assistenten, um diese Bildvorlagen zu bearbeiten. Eicken greift sowohl in die Farbregie wie auch in die Figuration der jeweiligen Vorlagen ein und schichtet dann unterschiedliche Vorlagen übereinander. Am Ende dieser Entwurfsphase hält er ein kompositorisches Modell für das zu malende Bild in den Händen, in dem die Figuration festgelegt und Anhaltspunkte für Farbkontraste gegeben sind. Seine Bildüberlagerungen zielen auf eine Erfahrung in der Bewältigung heutiger Welt. Wir bekommen häufig unterschiedlichste Bilder nahezu gleichzeitig zu sehen. Sie schieben sich in unserem inneren Vorstellungsvermögen übereinander und verschmelzen mitunter, so dass wir sie nicht mehr auseinander halten können. Eicken interessiert hierbei nicht die Nivellierung, sondern die Verdichtung von Bildstrukturen, das Gegeneinander von Rhythmen, das unterschiedliche Umfasst- und Eingelagertwerden von Formen, die Auflösung und Neustiftung von Zugehörigkeiten. In der Überlagerung treten Formen aus unterschiedlichen Schichten in ein überraschendes Nebeneinander, wobei sich das Übereinander je nach lichthafter Durchwebung erhalten kann. Mitunter forciert Eicken das gedrängte Nebeneinander, so dass Figur und Zwischenräume wechselseitig umspringen, mitunter belässt er aber auch Transparenzen, so dass verschiedene Ebenen sichtbar bleiben. Die Figuren werden in diesem Prozess fragmentiert, sie werden Bausteine für neue Gebilde und gleichzeitig verweisen sie noch auf ihre ursprüngliche Ganzheit. Eine neue Form von Weite entsteht in den Bildern durch die Übertragung auf Leinwand. Im Schichten von Farblasuren wird den Formen die visuelle Lebendigkeit des einen, alles erzeugenden malerischen Auges zugeführt. Die vordem graphischen Formkonstellationen erhalten jetzt eine Durchdringung mittels der Farbe. Wie ein einheitlich dirigiertes Orchester werden die einzelnen Farben (Töne) zu neuen, übergreifenden Klängen verschiedener Farbkörper (Instrumente) modelliert. Mal ist die Farbe Licht, mal wird sie selber ein ungreifbarer Körper, mal ist sie rhythmische Fläche. In diesem Prozess vollzieht sich ein Entfernen von einer konsistenten dinglichen Deutung unserer komplexen verwirrten Welt. Die Widersprüchlichkeit der Welt wird transponiert in eine Widersprüchlichkeit des Sehens, in dem Form, Gegenform, Negativform und Formebene sich in ein anderes Verhältnis setzen und die Dingliches negierenden Formen und Ebenenwechsel eine durchdringende Kraft gewinnen. Im malerischen Resultat wird daraus ein Gewebe von Farblichtrhythmen, welches im Prozess des zunehmenden Verlustes unserer Welt doch zugleich anzeigt, wo der Gewinn bestehen könnte, im subjektiven Vollzug komplexer Erscheinungsweisen eine Ahnung davon zu bekommen, was unsere Lebendigkeit ausmacht, welches aber nur auf sehr indirekte Weise in der Kunst sagbar ist.