Poesie der Stille

ANTHONY MCDONALD

20 April – 26 June 2015

POESIE DER STILLE

Wären wir vor hundertfünfzig Jahren nach einer Veranschaulichung des Begriffs ‚Bild’ gefragt worden, hätten wir vermutlich geantwortet, es ist eine bemalte Fläche, auf der Personen oder Gegenstände oder Landschaften dargestellt sind und die mit einem Rahmen versehen ist. Würden wir heutzutage gefragt, so würden einige von uns antworten, es ist eine gerahmte farbige Fläche, andere würden sagen, es ist eine eingefasste Fläche, auf der sich fortlaufend etwas ändert (Bildschirmgeflimmer). Von beiden Gedanken gehen die Bilder von Anthony McDonald vordergründig aus, unterlaufen sie aber. Dem Bild als flimmerndem Gebilde stellen McDonalds Bilder eine Reduktion und Einfachheit entgegen, dem Bild als einer farbigen Fläche mit einer Fokussierung auf das Bildzentrum stellen sie den Bildrand als einen dezentrierten Bildfokus entgegen.
McDonald greift die einfachen materiellen Gegebenheiten eines malerischen Bildes auf. Es besteht in der Regel aus einer Leinwandfläche, die um einen Rahmen gespannt ist. Das Bildes wird dann häufig noch in einen äußeren Rahmen eingespannt, der als Schutz und als zusätzlicher Schmuck des Bildes fungiert. Bei McDonald wird der äußere Bildrahmen zu einem Bestandteil der Malerei, indem er die unterschiedlichen Verzierungsmöglichkeiten von Holzrahmen als Malerei auf die Bildfläche übersetzt. Die Bildränder bestehen bei ihm aus zahlreichen übereinander laufenden Schichten unterschiedlicher Farbigkeit, die untereinander an den Bildkanten oder an den Konturen der verschiedenen Streifen hervorschimmern. Dem Farbmaterial verleiht er in den Schichtungen eine pastose Qualität. McDonald kopiert aber in diesem Tun keine Vorbilder, denn die vier Seitenkanten des Bildes werden nicht einheitlich als jeweils gleiche umlaufende Struktur gearbeitet, sondern sind bei allen Seiten jeweils unterschiedlich, ohne dass man dies sofort bemerkt. Erst allmählich sieht man, dass hier ein subtiles Gespräch zwischen den vier Seiten stattfindet. Dieses Gespräch ist ein Gespräch des Malprozesses selber, denn wenn er z. B. am oberen Rand eine Farbe setzt, antwortet darauf z. B. der rechte Rand, darauf dann der linke Rand, was wiederum eine malerische Veränderung am oberen Rand nach sich zieht, so dass das Malen wie ein Reigen mit mehreren Durchläufen ist bis daraus ein vielstimmiges Konzert wird, welchem das Bildinnere als beruhigendes Vereinen der Klänge antwortet.
McDonald gibt der Bildfläche durch einen kastenartigen Träger ein körperliches Volumen, außerdem führt er die malerische Fläche um den Bildrand herum, so dass der seitliche Bildrand zu einem Bestandteil des Bildes wird und die Anzahl der Stimmen im Konzert der Farbstreifen erhöht. Unsere Sehgewohnheiten geraten dadurch ein wenig aus dem Takt, denn wir sind gewöhnt, die Darstellungsinhalte den Ereignissen auf der zentralen Vorderfläche zu entnehmen, den Rahmen als etwas davon Getrenntes wahrzunehmen und nicht um die Ecke schauen zu müssen. McDonald verkehrt stattdessen unsere Erwartung an die Bildfläche im Hinblick auf Information oder Aufklärung und verordnet uns implizit eine Versenkung in die Stille des Bildzentrums und in den Klangreichtum feiner Nuancierungen der Bildränder vorne und an der Seite.
Konzentrieren wir uns auf die Pastosität der plastischen Bildränder, so lassen sie einerseits an eine zarte Bildschnitzerei denken, zugleich aber transformieren sie in ihrem malerischen Verlauf die statische Struktur eines Bildrandes in einen organischen Prozess des An- und Abschwellens. Damit dreht McDonald die Bestandteile des Bildes geradezu um. Denn der starre geometrische Bildrand, der Spannrahmen für die Leinwand wird hier zu einem organischen Gebilde und man fragt sich unwillkürlich: können diese Bilder von ihren Rändern her atmen?
Malerei macht visuelle Ereignisse auf einen Schlag sichtbar. Dies steht im genau umgekehrten Verhältnis zur Entstehungsgeschichte eines malerischen Bildes, welches ein Zeitspeicher für die unterschiedlichsten malerischen Handlungen ist, die in einer vielschichtig koordinierten Geschichte zu einem Resultat zusammengeführt werden. McDonalds Bilder radikalisieren dieses Paradox. Sie reduzieren die visuellen Ereignisse des Bildes auf basale Strukturkomponenten: Fläche und Rahmen, nichts weiter. Und doch fangen seine Bilder ihre Visualität erst dann an preiszugeben, wenn wir die feinen Verläufe, Schichtungen, Streifen, Untermalungen, Umwendungen in der Materialität der Farbe langsam wahrzunehmen beginnen, und wenn man das Konzert der vier Ränder als den Atem der Bilder spüren kann.
McDonalds Bilder wenden das statische Gerüst eines Bildes um in Erzählungen über Ereignisse der Materialität der Farbe, ihre Wendungen und Drehungen. In diesen Ereignissen kommt etwas von der organischen Emotionalität des Menschen zum Vorschein, so dass die Bilder, die sich scheinbar analytisch auf das rein Bildliche zurückgezogen haben, dennoch viel über eine Meditation über uns selbst erzählen in einer Poesie, die erst einmal in ihrem Zentrum eine Stille verlangt, um den eigenen Herzschlag hören zu lassen.
Man kann McDonalds Bilder aufgrund ihrer anfänglich spröden Abstraktheit für ein typisches Ereignis moderner Kunst ansehen. Es hat aber schon früher in der Kunst eine Wende gegeben, in der sich langsam aus einer gegliederten Fläche die Ränder herausgeschält haben und zu einem selbstständigen Element wurden und die ganze Spiritualität, welche vorher der Fläche und ihrer Geschlossenheit zugedacht war, in die Ränder überführt hat. Man hat sich Jahrhunderte später gefragt, wie denn ein starres Glieder- und Stützensystem, welches sich immer mehr verzierte, eine organisch mystische Spiritualität ausdrücken könne? Es hat längere Zeit gebraucht um zu verstehen, dass dieser verzierte Rahmen in seinem Streben in die Höhe überirdisches Licht sichtbar werden lässt. Ich spreche von der Architektur und von dem  Übergang von der Romanik zur Gotik, davon dass die Goten als Barbaren angesehen wurden und gotische Architektur lange Zeit als Barbarei galt. Kommt in McDonalds Bildern nicht etwas von dem gotischen Impuls einer Spiritualisierung des Rahmens zum Vorschein?

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