Menetekel

Lennart Martin · Björn Siebert · Markus Willeke

May 12 – August 9, 2024

Das Wort Menetekel bezeichnet Anzeichen drohenden Unheils, wobei es, von der biblischen Herkunft her, um Zeichen geht, die das Drohende nicht eindeutig kundgeben, sondern das Latente, Unterschwellige umso bedrohlicher in einer Lauerstellung belassen. In der bildenden Kunst können solche Anzeichen durch uneindeutige Motive und formal durch eigenartige Farbkombinationen, durch seltsames Licht, rätselhafte Kontraste oder unnatürliche Figurationen und Settings erzeugt werden. Oberflächen können verunklärt sein, man weiß nicht, was sich unter ihnen verbirgt, welch körperliches Volumen und welche Kraft die Gebilde auf der Oberfläche haben und, wenn Tiefe nur angedeutet, wie diese sich entfaltet.
Die Ausstellung thematisiert die Suggestionsmöglichkeiten von Malerei und Fotografie, verweist auf Netzwerke kultureller Praktiken, die uns beständig unterschwellig mit Verweisen auf das Nicht-Fassbare, Unheimliche, Schockierende versorgen und auf Vergangenes zurückbeziehen. In der Flächigkeit der bildenden Kunst ist das Körperhafte reduziert, meist nur angedeutet. Das prädestiniert sie dazu, das dominante Phänomen der heutigen Zeit zu thematisieren, den immer stärkeren Aufstieg von Virtualität und ihre Durchmischung mit Wirklichkeit. Nicht nur werden die Bilder von Wirklichkeit immer mehr von Verfremdungen, Verschönerungen, Bereinigungen, Stilisierungen durchdrungen, auch unsere Erwartungen füllen sich immer stärker mit Illusionen und Scheinwelten. Das Unheimliche heute ist das Virtuelle.
Die Ausstellung präsentiert drei Künstler, zwei Maler und einen Fotokünstler. Alle drei beschäftigen sich mit medialen Bildern, ihren Eigenschaften und ihrer Wirkung auf uns. Aneinander bindet sie auch ein formales Interesse an der Farbe Rot: Wärme, Hitze, Glut, das Überschäumende, Blut.
Lennart Martin hat innerhalb der Malerei ein Werkzeug entwickelt, das latente Spannungen und Untergründigkeiten bei den von unseren heutigen Medien produzierten Selbstdarstellungen von Personen hervorkehrt und auf der Oberfläche explodieren lässt. Die Motive können aus dem Popkulturbereich oder aus Filmen als Stills entnommen sein. Martin malt seine Motive nicht per Projektion, sondern als freie Nachzeichnung ab. Er konzentriert sich zunächst auf die reinen Lichtwerte und setzt dann in einem zweiten Schritt die Farbe ein, die das Bildfeld in intensive, sich gegenseitig hart voneinander abgrenzende Farbzonen einteilt und das Bild in eine Art Hinterglasfläche wie bei einem Laptop verwandelt. Durch diese Farbzonen werden ursprüngliche Zusammenhänge unterbrochen, gleichzeitig aber innerhalb der Zonen Zusammenhänge verstärkt, so dass sich in der Gesamtschau des Bildes eine Reihe von antagonistisch gegeneinander gerichteten Akteuren hervortun, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen und uns in ein virtuelles Reich eintauchen lassen, in dem sich nicht nur die Gegenwart, sondern auch Motivbezüge aus der Vergangenheit aufbauen.
Björn Siebert befasst sich mit der Generation, in deren Leben die digitale Kultur am stärksten eingedrungen ist, mit der Jugend. Welche Botschaften sendet sie aus, wie inszeniert sie sich, was findet sie interessant, was sieht sie, was ahmt sie nach oder formt sie um, teilt es in sozialen Netzwerken mit und speist dies wieder in nachahmende Abhängigkeiten ein. Siebert erforscht die sozialen Netzwerke und ihre bildlichen Relikte. Nach sehr gründlicher Materialsichtung wählt er einzelne Exemplare aus, um sie in einem genau sezierenden Prozess, gleich einem Archäologen, verstehen zu lernen und sie dann als Remake in einem anderem fotografischen Format nachzuinszenieren, welches den ursprünglich spontanen Akt zu einem lang anhaltenden Blick dehnt. Darin legt er mysteriöse Unterströmungen frei, die häufig unbegreiflich erscheinen. Wie kann es zum Beispiel sein, dass eine junge, geschlechter- und rollenkritische Generation sich dennoch mit Utensilien und kulturellen Erkennungszeichen der Vätergeneration versieht, zugleich aber sich in einer Art schützender Reinwaschung als Darth Vader White in eine andere Sphäre katapultiert und dem Vater entkommt?
Bei Markus Willeke geht die Beobachtung gesellschaftlicher Veränderungen in den Darstellungsweisen unserer Kultur mit einer Ausreizung der eigenen Beherrschung des künstlerischen Materials einher. So wie unsere kulturellen Praktiken in der medialen Überformung immer mehr der Durchsichtigkeit entgleiten, weil sich in ihnen die Suggestionen von Wirklichkeit, Wünschen, Erwartungen, Formungsmöglichkeiten, Selbststilisierungen durchmischen, so bringt Willeke in seinen Aquarellen die Pigmente seiner Tuschen in ein kaum gefügiges rätselhaftes Durchmischen und Durchleuchten, welches sich in besonderer Weise an den Rändern zeigt. Sein Sujet sind körperlose Winterjacken, die wir aus der Werbung kennen, ihre künstlerische Präsentation macht sie aber zu Geistern, von denen wir nicht wissen, wie sehr sie uns beherrschen können. Ihr Volumen scheint nicht mehr an eine körperliche Basis gebunden, sie scheinen sich frei und unkontrolliert zu dehnen, ins Lichthafte aufzuplatzen, sich von der eigenen Materialität zu lösen und in einen sphärischen Raum zu schweben, in dem es keine Bodenhaftung mehr gibt. Im Kapuzenteil ist das Volumen aufgerissen zu einem Blick, der zur Welt explodiert, während er sich in rote Unbestimmtheit weitet.