Christopher Muller
February 25 – April 22, 2011
Die für uns wichtigsten Aspekte der Dinge sind durch ihre Einfachheit und Alltäglichkeit verborgen. Man kann es nicht bemerken, weil man es immer vor Augen hat. Die eigentlichen Grundlagen der Forschungen des Menschen fallen ihm gar nicht auf.
Ludwig Wittgenstein
Mullers Bilder Werk entstand aus der Zusammenführung von zwei gegensätzlichen Impulsen: einem Interesse an malerischer Bild-erzeugung als Reflexion unserer menschlichen Befindlichkeiten und einer Beschäftigung mit unserem Umgang mit Dingen als den uns lebenslang Begleitenden. (Unsere Hände werden vielleicht die Kaffeetasse öfter oder länger berühren als den Lebenspartner.) Sein Werk hat inzwischen ganz wesentlich zur Wiederbelebung des klassischen Genres Stillleben beigetragen. Es ist allerdings nicht ausgerichtet auf die Erzeugung und Arrangierung eines schönen Scheins mit Dingen unseres alltäglichen Lebens in der Form fiktionaler Bilder, sondern es setzt bei einem Paradox im Umgang mit Bildern an: Bilder sind begrenzte Flächen. Die auf ihnen abgebildeten Dinge oder Personen sind nicht real. Bilder befinden sich in unwiderruflicher Distanz zu uns und doch benutzen wir gerade sie, um dem nicht Gegenwärtigen nahe zu kommen und es aufzuschlüsseln. Auf Mullers Bild-Arbeiten sind die Gegenstände in Realgröße abgebildet und gleichmäßig ausgeleuchtet, so dass sich ihr plastisches Volumen entfaltet. Sie üben auf uns die Suggestion aus, mit ihnen umgehen, aktiv in das dingliche Geschehen des Bildes eingreifen zu können. Wir können jedoch die Bildgrenze nicht überspringen und wie bei einer Guckkastenbühne in den Bildraum hineingreifen, weil die Bilder keinen zentralperspektischen Raum präsentieren. Die vordere Bildkante ist zumeist schräg angeschnitten, die Bildelemente sind häufig auf einer Fläche platziert, die für den Betrachter in ihrer Ausdehnung nicht entschlüsselbar ist, viele Dinge sind im Bild durch die Seitenkanten oder die obere Bildkante angeschnitten, manche Dinge sind so dicht gedrängt, dass ein ‚Zugriff’ gar nicht möglich scheint, andere wiederum so isoliert in einem entleerten Umfeld, dass der Betrachter sich einen Zugriff nicht ‚erlauben’ mag. Auch gibt es Schnitte durchs Bild durch abknickende Tischplatten oder Rasterungen des Hintergrundes, so dass der abgebildete Raum nicht als eine homogene Einheit erscheint. Diese spezifischen Prägungen eines konstruierten Bildraumes verweisen darauf, dass hier nicht Alltagsszenen dokumentierend abgelichtet sind, keine kleinen Geschichten von der Alltagsbühne erzählt werden, in deren Geschehen der Betrachter einfach eintreten kann. Stattdessen appellieren sie an uns, die Palette an Möglichkeiten wachzurufen, wie wir mit Dingen vertraut sind, mit ihnen umgehen können, wie wir ihre verschiedenen Eigenschaften und Kontexte handhaben können. Man kann ein Ding auf seine Funktion, auf sein äußeres Erscheinen, seine Form, sein Volumen, seine Farbe, auf sein Alter, auf seine Materialität, auf seine Taktilität, seinen Geruch, seine Handhabbarkeit, seine Bindung an uns oder an das Umfeld, auf seine Wichtigkeit und Regelmäßigkeit für unseren Umgang, auf seine Unverzichtbarkeit oder Vernachlässigbarkeit für uns usw. betrachten. All das sind verschiedene Betrachtungsweisen von Dingen. Das Besondere an Mullers Stillleben besteht darin, dass sie auf eine Weise gebaut sind, dass die Beschaffenheit des Bildraumes jeweils unser Potential an Betrachtungsweisen auf das uns Nahe wach ruft und uns eine Partizipation am Bild auf unterschiedlichen Ebenen ermöglicht. Wir können erst dann in das Bild ‚eindringen’, wenn es uns gelungen ist, die verschiedenen Betrachtungsweisen zu einem bildspezifischen Gespräch zu entschlüsseln und zu verdichten. Unsere alltäglichen Dinge stehen nie für sich allein. Sie sind mit anderen Dingen zu geregelten Abläufen organisiert, welche wir im weitesten Sinne als Ordnungen bezeichnen können. In unserem Alltag findet eine vielschichtige Überlagerung unterschiedlicher Aktivitäten und Abläufe statt. Der Ort der größten Dichte solcher Vorgänge und Abläufe sind unsere Wohnungen. Sie sind von Grund auf ‚unordentlich’, weil sich in ihnen verschiedene Ordnungen überlagern. Mullers Arbeiten zeigen unseren Umgang mit Ordnungen (die Unordnungen) in unserem alltäglichen Leben. Unterschwellig werden hier Ordnungen verglichen, das Miteinander der Dinge in ihrer Interaktion, in ihrer bloßen Parallelität, in ihrem Aneinandervorbeilaufen und auch in ihrem Konflikt miteinander aufgezeigt. Durch das Angebot an Partizipation treten wir als Betrachter in dieses vergleichende Geschehen ein. Wir selbst werden in unseren Handlungs-, Entscheidungs- und Sensibilitätsmöglichkeiten angesprochen. Die Bilder benennen unsere impliziten Gestaltungsmöglichkeiten mit Dingen, unsere Einstellung zu ihnen und reflektieren unsere unbewussten Sichtweisen auf das uns Nahe. Sie kreieren Räume von Lebensintimität, in denen wir durch unser dialogisches Eintauchen ein Stück Erforschung unserer selbst vornehmen. Mullers Arbeiten sind getragen von dem Verständnis, dass sich in der Organisation unseres unmittelbaren Umfeldes unsere menschlichen Freiheitsräume, unsere Humanität am fühlbarsten offenbaren. Nicht die großen Lebensentscheidungen, sondern die kleinen widerspruchsvollen alltäglichen Entscheidungen und Gestaltungen sagen uns etwas zu dem, was wir sind, sein können und wollen. Die Spuren und den Niederschlag dieser Entscheidungen reflektiert Muller in seinen Bildgestaltungen auf eine leichte, humorvolle Weise.