Markus Willeke
June 5 – July 13, 2018
Ist es möglich, einem formlosen und in der allgemeinen Wertschätzung völlig unbeachteten, wertlosen Gegenstand eine dramatische malerische Gestalt zu geben? Und was bedeutet eine solche Transformation für die Diagnose unserer heutigen Zeit?
Denken wir uns ein Theaterstück, in dem uns der Protagonist, ein Nichtsnutz, sein verpfuschtes Leben vorführt. Würde es sich um einen leibhaftigen Menschen handeln, könnten wir auf seinen humanen Wert bauen und auf eine Wende der Geschehnisse hoffen. Würde aber ein Ding die Hauptrolle spielen, so könnten wir denken, dass das Ding durch eine Wende der Ereignisse in ein Götzenbild transformiert wird. Bleibt die Wende aus, würde unser Theaterstück davon handeln, wie wir Menschen uns der Nichtigkeit der Dinge unterordnen.
Stellen wir uns ein Ding vor, welches zu geringsten Kosten hergestellt wird, um dann gleich wieder weggeworfen zu werden. Dieses Ding dient dazu, andere Sachen einigermaßen unversehrt nach Hause zu befördern. Es landet dann aber sogleich im Mülleimer oder wird achtlos weggeworfen. Das Ding ist aus Plastik, hauchdünn, es liegt griffbereit, flach, ohne aufzutragen und Platz wegzunehmen in einem Regal an der Kasse – dem Mittelpunkt unseres heutigen Lebens, dem Austauschplatz des Geldes. Das Ding fühlt sich an jeder Stelle gleich an und ist leicht. Obwohl es kein räumliches Volumen hat, sondern nur Vorder- und Rückseite, kann man diese noch nicht einmal unterscheiden, unser Ding ist buchstäblich in jeder Hinsicht einseitig. Wenn es angefasst wird, übt es keinerlei dinglichen Widerstand aus. Wird es benutzt, beult es sich aus und richtet sich nach dem, was hineingepackt wird. Es kann sich nicht von allein aufrichten, ist kraftlos und erhält eine dreidimensionale Form lediglich im Dienste von etwas anderem.
Kann diese gegenständliche Nichtigkeit ein malerisches Ereignis werden? Wenn man die Bilder von Markus Willeke noch nicht gesehen hat, würde man das ausschließen. Willeke gelingt es aber nicht nur, die plastikhafte Farbigkeit adäquat in den ganz anderen Farbkanon der Ölmalerei zu übersetzen, ihm gelingt vor allem, aus diesen unscheinbaren Wesen einen wahren Helden zu machen. Willeke bringt sein Farbmaterial zum Leuchten. Er schöpft die harten Kontraste zwischen der Grundfarbe der Tüten und ihrer Beschriftung aus, um ein malerisches Schlachtfeld von Farbrhythmen herzustellen. Ihre beliebige Formbarkeit benutzt er dazu, um wie ein mittelalterlicher Gewandmaler – nur mit einer viel expressiveren Energie – Faltungen in sie hinein zu modellieren und sie dabei gleichzeitig so zu verdrehen, dass die einzelnen Buchstaben der Werbeaufschrift auseinanderfallen und eine freie Tanz-Performance aufführen. Schließlich wird durch den Rhythmus eines freien Licht- und Schattenspiels das gefügige Nichts zu einem lebendigen Akteur, der nicht flach bleibt, sondern ein körperliches Volumen hat. Das alles gelingt durch ein rasantes Wechselspiel unterschiedlicher Pinselstärken und Farbmodellierungen, die von weitem so plausibel wirken, dass man denkt, es ist die Wirklichkeit der Tüte selbst, die sich hier als Bühnenakteur zur Aufführung bringt. Von nahem wird man sich bewusst, dass es doch nur die so selbstbewusst geführte Farbe ist, die dieses Spiel und die Lust unseres Sehens anregt. Willekes Farbschlacht ist aus der Ferne so selbstverständlich und plausibel und aus der Nähe so schwindelerregend suggestiv und subjektiv, dass man im beständigen Auf-die-Bilder-Zugehen und Von-ihnen-Weggehen nicht müde wird zu staunen, dass es immer wieder zu diesem Umschlagen in der Seherfahrung kommt.
Man kann jetzt einen vielleicht kühnen Bogen schlagen zu dem Anfang der großartigen europäischen Malereigeschichte. Die spätgotischen und Frührenaissance Maler versuchten sich v0n ihren mittelalterlichen Malerkollegen immer stärker abzusetzen, indem sie in ihren Darstellungen einzelner Heiliger davon abrückten, diesen ein bloß schematisches Aussehen zu verleihen und die Erkennbarkeit des Bildinhaltes bloß durch die Hinzufügung symbolischer Zeichen zu gewährleisten. Sie hauchten stattdessen durch Modellierung von Bewegungs- und Körperlichkeitsverhalten ihren Figuren langsam ein Leben ein. Sie machten aus den Heiligen, die ihnen nur von Texten bekannt waren, zunehmend leibliche Akteure, die sie in unser Leben treten ließen.
In analoger Weise kann man davon sprechen, dass Markus Willeke sich immer stärker von einer Kunstströmung ablöst, die seit Anfang der sechziger Jahre unsere Vorstellung von heutiger figurativer Kunst bestimmt hat, von der Pop-Art. Die Pop-Art benutzte Darstellungstechniken der Printmedien, um mittels Maßstabsverschiebungen und isolierender Fokussierungen uns bildlich vor Augen zu führen, in welche Mechanik unser durch Warenkonsum geprägtes Leben hineingerät. Willeke geht malerisch einen Schritt weiter. Seine Diagnose nimmt nicht den Ausgang von einer erstarrten Mechanik, sondern von einer entfesselten Dynamik. Es ist nicht mehr das erstarrte Symbol der Warenwelt, welches seine Bilder auferstehen lässt, sondern die Nichtigkeit dieser Warenwelt, die zu einem lebendigen Akteur wird, indem Willeke zeigt, wie dieser Akteur, die Plastikhaftigkeit sich zu einer Aufführung aufschwingt, um im nächsten Moment doch schon wieder zu verschwinden. Willeke nutzt die freie Beweglichkeit des malerischen Materials, um in dem Zwiespalt unterschiedlicher Zugangs- und Betrachtungsweisen das uns heute beherrschende Spiel aufzuführen von der Attraktivität und Selbstermächtigung einer nichtigen Warenwelt und gleichzeitig ihrer Scheinhaftigkeit.