CHRISTOF JOHN

Und der Mond meines Herzens scheint weiter

August 25 – October 4, 2024

Installation Views

Installationviews Hengesbach Gallery, 2024

Fotos: Dirk Wüstenhagen

Die künstlerische Welt von Christof John scheint bestimmt zu sein von formalen Malereientscheidungen. Was auf den ersten Anschein exakt daherkommt, ist versehen mit minimalen Abweichungen. Wo sich ein Muster darstellt, gibt es Fehlstellen, Linienwiederholungen variieren in der Breite, an Übergängen entstehen plötzlich Richtungswechsel. Geometrisches, Objektives bekommt organische, subjektive Anmutungen, Helles wandelt sich abrupt in Dunkles, Härteres wird weich und zart. Geht man diesen Zufällen genauer nach, bemerkt man ein System der Provokation von unterschwelligen Widersprüchen. Das lässt uns daran zweifeln, ob das Formale wirklich rein formal gedacht ist oder ob sich dahinter Inhaltlichkeiten verbergen, die mehr mit heutigen menschlichen Erfahrungsräumen und –wirklichkeiten zu tun haben als der formale Anschein dies vorgibt.
Die neue Werkgruppe mit der formalen Buchstabenbezeichnung TM ist dominiert von dem Kontrast vertikaler bzw. steil diagonaler Farbstrichsetzungen und gleichzeitig horizontalen Zonenerstreckungen. Die vertikalen unterschiedlich breiten Striche sind farbig, sie bestehen aus den Grundfarben blau, rot oder grün, können auch schwarz sein. Letztere markieren eine dominante Gerüststruktur. Die horizontalen Zonen schieben sich aus dem Dunklen immer wieder in lichthaft helle Bereiche und stellen ein Entkommen aus der schwarzen Festgefahrenheit dar. Im Gegensatz zu den flächigen Strichen ergeben sich hier Ahnungen von Landschaftlichkeit, von Ausgreifen in räumliche Weite. Während die Striche in ihrer unterschiedlichen Breite farblich relativ homogen sind und ihre farbliche Intensität kräftig ist, ist der Farbauftrag dünn, mitunter fast durchscheinend. Die farbliche Intensität verstärkt die geometrisch konstruktiven Aspekte. Die horizontalen Zonen dagegen sind von freien malerischen Modulationen getragen, die jenen entgegenstehen. Darin artikuliert sich ein anderer Ansatz als in der Op-Art der sechziger Jahre und ihrer Wiederaufnahme vor einigen Jahren bei jüngeren Künstlern. Nicht die Beschäftigung mit der neuen modernistisch technischen Welt in ihren äußeren Erscheinungsformen steht im Vordergrund, sondern das Schicksal des Menschen in dieser von ihm geprägten Welt.
Es ist zunächst nicht naheliegend, aufrechte Striche mit dem aufrechten Gang des Menschen in Verbindung zu bringen und Schrägen mit der menschlichen Möglichkeit, alles Erdenklich mit der Beweglichkeit des Körpers und vor allem mit den Händen zu bewerkstelligen. In der seriellen Taktung liegt aber ein Hinweis auf serielle Taktungen unserer Produktionsgesellschaft, auf die unterschiedlichen Gewichtungen, die wir in ihr einnehmen. Die Johnschen Striche haben harte Konturen ähnlich den harten Konturen der von uns hervorgebrachten Dinge, auch nicht unähnlich den Konturen, die erscheinen, wenn wir uns in starre glatte Hüllen kleiden. Auf die große Distanz kann daraus ein Strich werden. In unseren medialen Abstraktionen und auch in der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts ist dieser Schritt vielfach begangen worden. Man kann nicht davon sprechen, dass John einzelne Menschen oder Dinge in seiner malerisch harten Konturenwelt anspricht, stattdessen ist es eher der soziale Interaktionsraum, der von immer wieder ähnlichen Interaktionen und Multiplikationen geprägt ist, auch aus Absperrungen, Trennungen, Gitterwelten,Durchbrüchen besteht. Diese Interaktionswelt ist kein starres System, sondern immer wieder mit Veränderungen versehen, die sich unterschwellig einschleichen. Die heutige menschliche Welt lebt vom Widerspruch zwischen den festgelegten Produktionssetzungen und gleichzeitig von der Aufweichung dieser harten Setzungen aus der menschlichen Interaktion. Johns Bilder lassen sich in dieser Perspektive als Erlebnisbereiche menschlicher Interaktionswelten lesen.
Ein anderer Aspekt seiner TM Bildwelt ist die Reflexion auf Medialität. Für eine heutige Jugendgeneration ist die Erfahrung von Testbildern am Ende einer TV Sendezeit nicht mehr gegeben, weil die Medialität so überhand genommen hat, dass es gar kein Ende des Sendens mehr gibt. In der früheren Zeit des Fernsehens stand am Ende des abendlichen Bildprogramms das Testbild als Setzung einer starren, streng geregelten farblichen Struktur aus vertikalen und horizontalen Linien und unterschiedlich breiten Grundfarbfeldern, die zugleich ein Hinweis auf das System der Erzeugung dieser Bilder war. Das Testbild war nie vollständig stabil, leicht schwankende Impulse ließen es zittern und verzerren. Ein geänderter Stromdurchfluss machte Kräfte sichtbar, die zu den Verschiebungen führten.
Johns Bildwelten zeigen komplexe Strukturen. In den Verschiebungen artikuliert sich, dass sie lebendige Kräftefelder und Reibungszonen sind. Man kann seiner Malerei nicht entnehmen, welcher Art diese Kräfte sind, wer hinter diesen Kräften steht. Am Ende der meisten Kraftverschiebungen steht aber die menschliche Interaktionswelt, in der jeder Einzelne dem Systemzwang ausgesetzt ist, zugleich aber leichte Verschiebungen herbeiführen kann.
Wenn wir davon sprechen, dass Johns Bilder komplexe Systeme zeigen, so ist in einer solchen Aussage die Erwartung eingeschlossen, dass sich diese Komplexität in einzelne Bestandteile und einen Bauplan des Zusammensetzens auseinanderlegen ließe. Genau dies gelingt aber bei seinen Bildern nicht. Wir können zwar einzelne Bildmuster aufschlüsseln, versuchen wir aber die Bildrhythmik der unterschiedlichen Bildmuster zu verfolgen, stellen wir fest, dass diese sich unmerklich in andere Bildmuster verschieben und es nicht den einen Schlüssel zum weiteren Aufschluss gibt, sondern dass jeweils immer von neuem andere Schlüssel gesucht werden müssen.
Johns Bilder lassen in dem Versuch ihrer visuellen Erfassung eine Grunderfahrung heutigen Welterlebens hochkommen: es gibt keine Königswege im Zugang zu unserer Welt mehr. In der Auseinandersetzung mit seinen Bildern fangen wir immer wieder von vorne, an einer anderen Stelle an, wir treten ein in ein Bildlabyrinth, werden immer mehr von ihm gefangen, finden aber auch nicht mehr aus ihm heraus, werden weder die innerste Kammer noch den innersten Kern entdecken. Johns Bilder artikulieren diese Verlorenheit in der Vielfalt der heutigen Interaktionswelten.