Moritz Neuhoff
March 24 – July 3, 2020
Moritz Neuhoff malt großformatige Bilder und verarbeitet dabei visuelle Erfahrungen mit unserem medialen Umfeld, mit den kleinformatigen digitalen Geräten wie Smartphones und Laptops. Wie aber sind deren elektronisch erzeugte Bildeigenschaften auf riesigen Leinwänden mit Pinsel und Farbe simulierbar bzw. übertragbar? Neuhoff hat dafür verblüffende Lösungen gefunden. Zugleich beschäftigt er sich mit der grundlegenden Frage von Malerei, wie hinter einem visuellen Anschein etwas anderes verborgen sein kann. In Neuhoffs Bildern sind es nicht figurative Szenen, in denen sich etwas verbirgt, sondern es sind die scheinbar sinnlosen einzelnen Gesten der Malerei, die sich artikulieren und sich dann doch so transformieren, dass das Bild zu einem Schleier wird, in dem etwas gelüftet und zugleich verborgen wird.
Neuhoffs Bilder operieren einerseits mit der Versicherung, dass Malerei genau das ist, was sie im physischen Prozess des Auftragens von Farbe sein kann, andererseits unterlaufen sie diesen Prozess radikal, weil bei näherer Betrachtung sich die vorgeblichen Materialitäten auszulöschen scheinen. In diesen dialektischen Prozess von realer Physis und virtuellem Schein werden alle prägenden Kernfaktoren von Malerei hineingezogen: das Licht, die Farben, die Räumlichkeit und die Bewegung.
Das Licht seiner Bilder lebt von heutigen Wahrnehmungserfahrungen mit Bildschirmen, bei denen das Licht ungreifbar hinter oder aus den bildlichen Elementen auftaucht und die dinglichen Konturen anders strahlen. Neuhoffs Bilder beherbergen ein irisierendes immaterielles Licht, welches sich aus dem malerischen Umfeld vorsichtig heraushebt, ohne sich von ihm scharf abzuzeichnen.
Die Farben sind zurückhaltend, in ihrer Latenz lauernd und erst nach genauer Wahrnehmung in ihrer ganzen Breite sichtbar. Nicht der Natur entlehnt, aber auch ohne Beziehung zu den Farben unserer Produktwelt mit ihren künstlichen Oberflächen. Sie vermitteln den Eindruck als ob sie sich selbst simulieren. Sie changieren beständig in ihrem Ton, das irreale Licht durchwebt sie.
Neuhoff legt verschiedene Helligkeitszonen an und operiert mit dunklen Körperschatten, die er in lasierenden Schichten übereinander lagert. Dadurch entsteht eine Räumlichkeit, die durch einen Dialog von Schärfen und Unschärfen noch gesteigert wird. Die Räume verschieben sich, ohne dass es zu einer eindeutigen greifbaren Verschachtelung kommt. Man kann nie genau sagen, was der Vordergrund- und was der Hintergrundraum ist. Raum erhält einen fiktionalen Charakter.
Die Bilder zeigen eine Welt in Bewegtheit. Neuhoff setzt unterschiedliche Bewegungsdynamiken in ein Gegeneinander. Zusätzlich verstärkt er diese Verunsicherung durch das Kontrastieren verschiedener Maßstäblichkeiten. So können die Bewegungen als Vergrößerungen von etwas unter dem Mikroskop oder als Verkleinerungen von etwas aus weiter Ferne Gesehenem interpretiert werden. Sie scheinen keinen Anfang zu haben, setzen unvermittelt mit voller Wucht ein und scheinen nicht auf ein Zentrum bezogen zu sein, welches ihnen einen ordnenden Bezugspunkt zuweist. Man kann sie als aus dem unüberschaubaren, chaotischen Kontext des Stadtraumgraffitis entnommen interpretieren oder sie als interstellare komplexe Erscheinungen auffassen. Das Aufscheinen des Virtuellen berührt auch die materiale Gesamterscheinung. Meint man von weitem aufgrund der dunklen Binnenschatten einen deutlichen plastischen Materialauftrag zu erkennen, realisiert man von nahem die Flachheit der Bilder. Den Unterschied von materialem Farbauftrag und gedruckter Oberfläche scheint Neuhoffs Malerei ad absurdum zu führen. Malerei taucht ein in die Mimikry medialer Qualitäten. So glaubt man denn in der Perfektion der Täuschung nicht mehr an eine malerische Urheberschaft, sondern an einen digitalen Druck unbekannter Herkunft mit rätselhaftem Sujet.
Das Changieren zwischen Subjektivität und Objektivität der Bewegungen erzeugt auch in der Interpretation der Formen Unsicherheiten. So steht immer wieder dynamischer Gestus gegen neutralisierende Rasterformen oder körnig sandige Bildgründe, und der Gestus zerfällt mitunter in einen höchst artifiziellen Malereivortrag. Äußerungsformen heutiger Jugendkultur, visuelle Einsichtnahmen in wissenschaftlich erschlossene Mikro- bzw. Makrowelten und Selbstdarstellung der Malerei verbinden sich miteinander.
Da Neuhoff beständig aus der komplexen Geschichte unterschiedlicher Strategien des Farbauftrags zitiert, diese aber gleichzeitig in ihrer Erscheinung entmaterialisiert, kann man auch von einer Metamalerei sprechen. Diese verfügt über alle Elemente des Malens und entzieht zugleich ihr eigenes Malen beständig der realen Darbietung. Dies kann als eine Reflexion des Malens ausgelegt werden, der Schein wird als Schein reflektiert. Das Bild zeigt sein eigenes Erzeugsein und entlarvt dies gleichzeitig als Illusion.
Die Entlarvung ist jedoch in dieser Dialektik des Scheins nur die eine Seite. Ihr haftet zugleich eine tiefere sinnliche Wahrnehmungserfahrung an, das Eintauchen in die Welt von Schleiern, wo man etwas zu sehen, zu greifen scheint, dass sich jedoch auch wieder entzieht. Bei Neuhoff wird Bild zum Schleier. In dem Dialog von Schärfen und Unschärfen, von Bewegungen, die nicht zu greifen sind, weil sie aus der Raumtiefe hervorkommen und in sie wieder entschwinden oder in der Farbgischt auf der Oberfläche, die sich zerstäubt und in ihren Hintergrund auflöst oder mit ihm verschmilzt, kommt es beständig zu einem Sich-Öffnen und wieder Sich-Verschließen des Bildes. In diesem Prozess tauchen Neuhoffs Bilder in das Erfahren von Transrealität ein.
Die einzelne malerische Geste ist bei Neuhoff nicht gefasst auf eine Kompositionsordnung, auf einen fixierbaren Zusammenhang hin. Die einzelne Geste scheint willkürlich, ein Akt beständigen, sinnlosen Rufens nach Freiheit. Das Zusammensehen der einzelnen Gesten stellt die Frage nach dem Sinn einer malerischen Struktur. Paradoxerweise bleiben die einzelnen Gesten in Neuhoffs Bildern nicht für sich als isolierte statische Setzungen. Sie erzeugen einen Zusammenhang ohne erkennbare kompositionelle Struktur durch die Art ihrer visuellen Selbstaufhebung. Die Gesten in ihrem gelassenen Jonglieren von Sinnlosigkeit, von Dickicht, von Chaotischem verdichten sich in den offenen Tiefenbewegungen der Bilder zu Schleiern, der einen beständig changierenden Bildraum des Vor- und Zurückspringens erzeugen und erst dieser nicht greifbare Bildraum macht uns die Unfassbarkeit von Freiheit bewusst, die für uns Menschen vom Himmel zu fallen scheint.
Text: Rolf Hengesbach