Moritz Neuhoff
September 4 – October 13, 2017
Pinkfarbener Regen, der eine Wand mit schwarzen Graffiti-Spuren benetzt – kann man sich das vorstellen? Regen, der nicht bloß von oben nach unten rinnt, sondern gleichzeitig in alle Richtungen verläuft, so als würde er aus der aufschämenden Gischt eines Wasserfalles bestehen, bei der Licht von hinten durchbricht? Die großen Bilder des Berliner Malers Moritz Neuhoff bestehen zwar aus gemalter Farbe, bei ihrem Betrachten haben wir aber überhaupt keine Ahnung davon, wie sie entstanden sein könnten. Sie präsentieren visuelle Ereignisse von etwas, was bloße Materie zu sein scheint, andererseits aber belebt und in ständiger Bewegung begriffen ist. Mal überwiegt der Eindruck von toter Materie, die von unsichtbaren Naturkräften aus ihrer Erstarrung gelöst wurde, mal von lebender Materie, die etwas von ihrem inneren biologischen Pulsieren nach außen dringen lässt: Stellen wir uns vor, wir blickten durch ein Elektronenmikroskop. Die Farbigkeit der Welt ist hier zwar abgeschaltet, durch die ungeheure Vergrößerung werden aber Oberflächenschichten von Zellwänden sichtbar, deren biologische Aktivität, deren Leben erahnbar wird, weil diese Wände in schwingendem Pulsieren eines Aufs und Abs begriffen sind. Wie sähe es aus, wenn wir das Innere eines Gehirns mit seinen rötlichen Verschlingungen, Überlagerungen und Verbindungen von einzelnen Nervenzellen sehen könnten? Oder wir blickten in der Abenddämmerung aus einer Vogelperspektive auf ein großes vom Wind durchpeitschtes Wasser, bei dem die Wellenkämme unterschiedlich farbig in die verschiedensten Richtungen zu tanzen scheinen? Oder wir würden eines alten grauen Gesteinshaufens ansichtig, der in Ankündigung eines bevorstehenden Erdrutsches weich zu werden beginnt, indem von hinten drückende Wassermassen allmählich aus ihm hervorquellen? Oder stellen wir uns vor, wir würden mit einem Hochgeschwindigkeitszug durch eine sonnenbeschienene Landschaft rasen, so schnell, dass die Einzelheiten in unserem zitternden Blick verschwimmen und nur eine Stimmung von unterschiedlich zarten Grün- Blau- und Gelbtönen in hellem Licht aufscheint? All dies können wir im Betrachten der Bilder von Moritz Neuhoff erleben und doch ist nichts davon dargestellt. Denn seine Bilder sind reine Malerei, eine Malerei, die hochkomplex ist und selbst erfahrenen Malereispezialisten nicht verrät, wie sie entstehen. Neuhoff nutzt nicht nur die klassischen Maltechniken, sondern bedient sich aller Möglichkeiten, die einem heutigen Maler nach der Revolution abstrakter Malerei zur Verfügung stehen: Tropfen, Wischen, Aufplatzen, Rinnen, Sprühen, Aufschäumen der Farbe. Es geht ihm dabei nicht um die Virtuosität des malerischen Vortrags, sondern um das Auf-Augenhöhe-Bleiben der Malerei mit den Veränderungen in unseren technischen Medien. Viele seiner Bilder erwecken den Anschein einer fotografischen Qualität des Darstellungsereignisses oder sehen aus wie eine Computersimulation auf einem Riesenbildschirm. Die Malerei ist zwar real, aber alles, was sie uns zu erzählen scheint, ist eher virtuell oder fiktiv. Sie artikuliert ein heute dominantes Lebensgefühl: zwar stehen wir in unserer heutigen Welt, aber vieles um uns herum wird immer ungreifbarer, von Prozessen gesteuert, die sich unserer Kontrolle entziehen. Neuhoffs Bilder könnten von komplexen technischen Maschinen produziert sein, die über ihre materiale Basis Bilder entwerfen, Maschinen, die sich eine eigene Intelligenz und Darstellungsfähigkeit gegeben haben. Beschäftigt man sich länger mit diesen Bildern, wird offenbar, dass unter den scheinbar technischen Prozessen der Mensch mit seinen Bewegungsformen und Proportionen lagert, dass bei aller vordergründigen Fremdartigkeit doch der Mensch mit seiner sinnlichen Lebendigkeit hinter ihrer Erzeugung steckt. Neben diesen virtuellen Aspekten ihres Darstellungsraumes lassen sich die Bilder aber auch auf Traditionen westlicher Nachkriegsmalerei beziehen. In vielen Bildern blitzen Verweise oder Kommentierungen der abstrakten Malerei der fünfziger und sechziger Jahre auf, es ist eben auch Malerei über Malereigeschichte. Die Bilder zitieren nicht diese vergangene Malerei, aber sie schauen aus einer distanzierten Warte zurück auf das Bemühen, den materialen Kräften der neuen abstrakten Malerei einen Ausdruck zu verleihen. Was in den ersten Nachkriegsjahrzehnten noch um einen Gestaltungskanon ringend und oft sehr bemüht erschien, passiert hier mit leichter Hand, als klingende Erinnerung, als ein spielerisches Varieté, als Puppentanz einer im Absinken begriffenen Vergangenheit. Auch die beiden Kernbestandteile von Malerei, das Gespräch der Farben und das Spiel des Lichts werden auf eine abgehobene Ebene transferiert. Es fällt schwer, Farbtöne zu benennen, denn ein permanentes Changieren seiner Farben treibt diese eher zu ihrer Selbstaufhebung als zu ihrer fixierten Darstellung. Das Licht ist ein flackerndes Irrlicht und nicht als konkrete Quelle fassbar. Dies trägt zur spannenden Räumlichkeit der Bilder bei. Viele Bilder scheinen rätselhafte Oberflächen zu artikulieren, die zugleich in inwendige Welten, in nicht konkretisierbare Innenräume umgeformt sind, so dass man gar nicht weiß, wie sich der Raum entfaltet. Bin ich als Betrachter ein Teil von ihm oder aus ihm ausgeschlossen, ihm gegenüber? Dieses Hin und Her trägt dazu bei, dass Subjektivität in Moritz Neuhoffs Bildern keine fassbare Form erreicht, dass das Subjektive hier nur eine Ahnung ist, die sich im ersten Bekunden gleich wieder zurücknimmt.