Cultural Remix

Jon Kessler & Viktor Kopp

December 4, 2018 – January 25, 2019

Was muss es für ein völlig neuartiges Erlebnis gewesen sein, dass wir uns die Welt nicht mehr aus eigener Anschauung und auch nicht mehr aus Sammlungen einzelner Bilder zugänglich machten, sondern dass die Welt sich uns auf einem flachen Bildschirm erschloss, aus der sogenannten Flimmerkiste. Aus stabilen und materialisierten Bildern waren farbige elektrische Lichtpunkte geworden, die sich ständig verändern. Obwohl selber nicht greifbar, beanspruchten diese nun paradoxerweise uns ganz neue Sinnzusammenhänge aufzuschließen.
Sowohl das bildhauerische Werk von Jon Kessler (New York) wie auch die Bildarbeiten von Viktor Kopp (Stockholm) stellen eine künstlerische Reflexion über die Einführung der Flimmerkiste dar, wie diese neue Inhalte für uns prägt und für eine grundlegende Veränderung unseres kulturellen Weltverständnisses sorgt. Einerseits beansprucht die Flimmerkiste, über alles berichten zu können, andererseits zwängt sie uns bestimmte Schemata in der Abfolge von Bildern, im Springen zwischen verschiedenen Blickeinstellungen und Orten auf und verändert unser Zeitverständnis, unsere Aufmerksamkeit und unser Einvernehmen mit der lokalen Umgebung. Jon Kessler greift das basale Element der Flimmerkiste auf, indem er Licht zum zentralen Medium seiner künstlerischen Arbeit macht. Licht ist bei ihm aber nicht Durchgangsstation, sondern wird in seinem ästhetischen Wert herausgearbeitet. Gleichzeitig wird es als das Urereignis der menschlichen Schöpfung freigelegt. Ein Angelpunkt von Kesslers Werk ist die immer wieder andere anschauliche Inszenierung des platonischen Höhlengleichnisses: Wir sind gefesselt in einer Höhle und erleben die Welt nur von dem Widerschein eines in unserem Rücken befindlichen Feuers, welches uns alle Ereignisse des Draußen nur als Schatten auf die Höhlenwand projiziert. Dieses Höhlengleichnis stellt zugleich den Urmythos der Erzeugung von Bildern dar, denn die dreidimensionale, bewegte Welt muss ja auf eine plane Ebene transformiert werden. Dieser Urmythos ist immer wieder in der abendländischen Bildgeschichte angesprochen worden. Bei Kessler wird er auf eine radikale Weise greifbar: Bei ihm wechseln
Farbigkeit und Intensität des Lichts und es gibt Bewegungselemente: die Höhle wird lebendig. Sie wird aber nicht zu einem Broadwaymusical und nicht zu einer Hollywoodproduktion, sie verbleibt im Elementaren: Lichtwechsel und Bewegung sind nachvollziehbar. Ihr Element ist die Illusion, aber die durchschaubare Illusion, die auf das Mechanische und die einfache elektrische Schaltung vertraut, nicht auf eine synthetische Illusion. Deswegen ist auch nicht verwunderlich, dass Kessler gleich im ersten Jahr 1983, in welchem er vollgültig seine bildhauerische Werkform gefunden hat, sich an die Darstellung eines Urmythos der Menschheit begibt, an eine Horde von Wilden, die tanzend mit ihren gebauten Waffen in der Hand den Aufbruch in eine neue Zeit feiern. Ein anderer Mythos ist der des heldenhaften Athleten, der sich mit gestreckten Gliedern der Schwerkraft enthebt. Ein dritter Mythos ist der Mythos der Aufrechterhaltung anständigen Verhaltens in der sozialen Auseinandersetzung. Kessler
benutzt Figuren aus dem ersten Robin Hood Film, hebt ihre verschiedenen kulturellen Sphären: Wald, Stadt, Kloster hervor, um Gerechtigkeit als abenteuerliche Auseinandersetzung unterschiedlicher moralischer Charaktere zu inszenieren. Gegen diese Vordergrundschicht setzt er indisches Heilslebens als Schicksals ergebenes figürliches Schweben in ein Schatten-Hintergrund-Reich. Diese Modell Situationen unserer Kultur erleben wir als changierend bewegtes Licht hinter Projektionsschirmen, eine Wellplatte aus Fiberglas, eine dicke Acrylglasplatte oder eine Schlieren-Buntglas-Scheibe. Die Projektionswand der Höhle tritt bei Kessler in unsere heutige Bildwelt ein, magisch, märchenhaft, als bizarrer, sich in Szene setzender Reigen. Die Bilder von Viktor Kopp sind auch Projektionsschirme. Sie bedienen sich aber der Farb- und Lichtverwebungsmöglichkeiten von Ölmalerei. Eine Transformation des Lichtspiels der Flimmerkiste steht bei ihnen nicht direkt im Vordergrund. Sie bedienen sich stärker aus zwei Quellen, aus der medialen Vorgeschichte universaler Lichterzählung in den Erzählweisen des Comic und der malerischen Umschlagpunkte Magrittescher Bildkonzeptionen Ende der Zwanziger. Der Comic reduziert die dreidimensionale Wirklichkeit auf zeichenartige Formen, welche vermittels geschwungener Linien, offener oder geschlossener Konturen bzw. Flächen die Suggestion von Bewegtheit und Kraft erzeugt. In weichen Übergängen lasierender und pastoser Ölfarbe bringt Kopp in seinen Spaces between Lovers Versatzstücke unserer Träume von einer wärmeren, heiteren, mit unseren Ängsten vor einer dunklen verlies- oder gefängnisartigen Welt in ein absurdes Gespräch miteinander. Der kitschige Sonnenuntergang ist das Bindeglied. In der Reise zum Mittelpunkt der Erde werden wie bei einem Diaprojektor vier dreieckige Landschaftsausschnitte zu einem ovalen Gesamtsegment in einem weißen Lichtumraum zusammengefügt, so dass Orange, Rot, Grün und Braun zu einem changierenden Komplott sich verschmelzen. Im Hunter schließlich steht die Welt auf dem Kopf und wie in der Schlussszene zu Kubricks Film Dr. Strangelove or how I learned to stop worrying and love the bomb segeln Hüte dem möglichen Weltuntergang eines finalen Himmels-Shooting entgegen.

Installation Views


JON KESSLER, The Guiding Light, 1983, Mixed media with lights and motors, 214 x 102 x 95 cm

JON KESSLER, The Fall, 1985, Mixed media with lights and motors, 64 x 51 x 40 cm

VIKTOR KOPP, Spaces Between Lovers, 2005, Oil on canvas, 200 x 267 cm