Andrea Zabric
November 12, 2019 – January 19, 2020
Andrea Zabrics Bilder entstehen aus dem Prozess einer Auseinandersetzung mit dem elementaren Malmaterial, nämlich mit Farbpigmenten. Zum Auftragen der Pigmente bevorzugt sie einen harten und glatten Malträger, Holz. Da es ihr nicht auf das natürlich Gewachsene von Holz ankommt, sondern auf die Vorstellung einer gleichmäßig gepressten Substanz, benutzt sie in der Regel MDF. Die Schwere von Holz limitiert die Größe ihrer Bildträger auf ein Maß, welches dem des menschlichen Körpers entspricht. Ein größeres Maß wäre nicht bewältigen, denn ihr Malprozess verlangt, dass, nachdem die Grundierung der Oberfläche vollzogen ist, ein ständiger Wechsel zwischen der Waagerechten und der Senkrechten stattfindet. In diesem beständigen Wechsel der beiden Grundpositionen vollzieht sie auch eine Grundbefindlichkeit des menschlichen Daseins zwischen vertikaler Aktivität und horizontalem Ruhen.
Zabrics Malvorgang geht vom elementaren Malen aus. Sie benutzt keine fertig hergestellte Farbe, son-dern setzt bei dem malerischen Urstoff, den verschiedenfarbigen Pigmenten an. Jedes Pigment unterschei-det sich nicht nur in dem Lichtspektrum, welches es zurückstrahlt, sondern auch in seiner körnigen Materialität und in seiner Verbindbarkeit mit anderen Pigmenten. Zabric rührt ihre Pigmente in ein Malmedium ein und trägt sie auf den Malträger auf. Dabei trifft sie jeweils eine malerische Vorentscheidung, die Wahl eines bestimmten materialen Pigmenttyps als Ausgangspunkt. In unserer Ausstellung sind zwei verschiedene Pigmenttypen die Basis für die Bilder: Graphit und Cadmium. Graphitpigmente sind Grau, Cadmiumpigmente können gelb oder rot sein. Zabric reibt ihre Pigmente in die Oberfläche des Malträgers. Die Einreibbewegung kann durch Hände und Arme, mit Hilfe von Pinseln, Rollen, Spachteln erfolgen oder auch die eines Gießvorgangs sein, bei welchem sich die Pigmente lediglich angeleitet von einer Grundrichtung über den Malträger verteilen. Aus dem Resultat beider Bewegungsformen entsteht von Malschicht zu Malschicht langsam eine Topographie von Unterschieden. Die Unterschiede artikulieren sich in Helligkeitswerten und einzelnen Farbnuancen, je nach der Dichtigkeit der Pigmente und dem Anteil der Farbpigmente, die aus anderen Materialitätstypen dem Ausgangsmaterial hinzugefügt werden. Sie sind bezogen auf die Größe der kleinsten unterscheidbaren Flächenstücke, die jeweils eine Maßstäblichkeit für jedes Bild vorgeben. In diesem Prozess der Aufschichtung von Pigmenten bildet sich aus den Differenzen wie in einer realen Landschaft ein einzigartiges topographisches Landschaftsprofil aus. Eine solche statische Topographie mag ein interessant aussehendes Gebilde sein, aber es erfüllt nicht die Anforderung an ein künstlerisch befriedigendes Bild. Zu einem solchen wird es erst, wenn sich die statische Topographie verlebendigt. Damit ist nicht gemeint, dass sich wie in einer realen Landschaft so etwas wie ein verbindender Fluss in ihre Mitte sich eingraben sollte. Stattdessen sollte die Landschaft dem menschlichen Auge ein Gleiten durch sie als etwas originär Ganzes ermöglichen und in diesem Gleiten etwas aus dem menschlichen Seelenleben aufblitzen. Es muss ein kontinuierliches Wechselverhältnis zwischen der gesetzten Maßstäblichkeitsgröße der Details und dem Ganzen des Bildfeldes geben. Das einzelne Detail, an das sich das Auge anheften kann, muss immer wieder in das größere Ganze des Bildfeldes hinübergeführt werden bis an die Grenzen des Bildes und dort auf eine Weise enden, dass wir als Betrachter nicht nach einem Weiter fragen.
Für jedes Bild können im Verlauf der Pigmentaufschichtungen andere Arten von kleinsten Bilddetails entstehen und sie können als einzelne Markierungspunkte jeweils ganz anders in das größere Ganze eintauchen. Entscheidend ist, dass sich aus der Topographie der Unterschiede sowohl ein Bildlicht wie auch ein Farblicht entwickelt, dass dem Bildganzen einen Charakter verleiht, der es über eine bloße Topographie von Unterschieden hinausführt. Mit diesem Bildlicht ist allerdings nicht die Darstellung einer aus dem Bild herausstrahlenden Lichtquelle gemeint. Vielmehr hebt sich bei Zabric aus den Helligkeitsunterschieden der materialen Oberfläche etwas heraus, welches zu einem ganzheitlichen Schwingen wächst und das wir als eine Gefühlsorientierung bezeichnen können. Solche Gefühle handeln von menschlicher Intimität, von Zuständen, die sich originär auf unser Gefühlsleben, auf unsere Stimmungen beziehen.
Um den Unterschied zwischen einer bloß stofflichen Verdichtung und einer in die menschliche Intimität überführten Materialität deutlich zu machen, ist der Künstlerin daran gelegen, ihre Bilder mit gepressten Pigmenthaufen zu konfrontieren. Die Pigmenthaufen haben eine Form angenommen, die ihnen durch sehr großen Druck aufoktroyiert wurde. Je nach Pigmentart können sie leichter oder schwerer so miteinander verpresst werden, dass sie die kastenartige Pressform an sich behalten oder von dieser Pressform abfallen und ein Stück klumpenartiges Material werden. Der Materialklumpen kann in seinem einzigartigen zufälligen Formverfallsprozess als ein zufällig gefundener und entstandener Felsbrocken interessant aussehen, aber er vermittelt unserem Sehen niemals die Vorstellung, dass sich hier aus einer Verdichtung ein Empfinden entwickelt, in welchem Licht und Farbe sich zu einer humanen Erscheinung, zu einem menschlichen Widerpart konstituiert haben.