arm from right and hand from left – twist and walk

ALEX HANIMANN

AUGUST 27 – OKTOBER 22, 2023

Wenn man Alex Hanimanns breitgefächertes Werk unbedingt einer Gattung zuordnen wollte, dann würde man ihn als einen Zeichner ansprechen. Zeichnungen erfassen das Wirkliche in Aspekten, die sich durch Punkte, Linien oder Liniensysteme ausdrücken lassen, sie fangen das Wirkliche aber nur zum Teil. Viele werden behaupten, dass fotografische Bilder einen viel reichhaltigeren oder dichteren Zugriff darstellen, dass sie einer Zeichnung um ein Vielfaches überlegen sind. Dass dem nicht so ist, kann man aus Hanimanns künstlerischem Werk lernen. Er beschäftigt sich intensiv auch mit fotografischen Bildern. Auch für diese gilt, dass ein scheinbar direkter Abgriff aus der Wirklichkeit nicht gegeben ist, dass auch sie gedeutet werden, dass bei ihnen visuelle Eigenschaften mit begrifflichen verknüpft werden müssen, um zu einer Deutung des Dargestellten zu gelangen. Die visuellen Eigenschaften einer Fotografie mögen auf den ersten Blick andere als Punkte oder Linien sein. Auf den zweiten Blick erweist sich, dass deren Eigenschaften nur als ein anderer Typ der Dichtigkeit von Punkten angesehen werden muss.
Hanimanns Arbeiten beobachten unterschiedliche Wirklichkeitsdurchdringungen, wie sie in medialen Bildern, aber auch in Texten dadurch zum Ausdruck kommen, dass selten nur eine Sache allein abgebildet oder ausgedrückt wird, sondern sich auch Nebenaspekte versammeln und dass sich alles umpolen kann, je nachdem, wie der Bild- oder Wortschnitt gesetzt wird, so dass von Anfang an ein Rauschen aus Neben- oder Störgeräuschen vorhanden ist.
Texte scheinen viel einfacher als Bilder zu sein, bestehen sie doch bloß aus einer Aneinanderreihung von Wörtern. Hier gibt es eine feste Ordnung. In seinen Wortzeichnungen beobachtet Hanimann allerdings, dass diese Ordnung schnell durcheinanderkommen, dass schon ein leicht unpassendes Wort Bedeutungsstörungen hervorrufen kann. Mit unseren Wörtern versuchen wir – gleich Fischern im Auswerfen von Netzen – unterschiedliche Aspekte der Welt einzufangen. Wir stellen fest, dass sich in den Netzen vielfach etwas versammelt, was nicht richtig zueinander gehört und was wir auch nicht einzufangen bestrebt waren. Erfolg oder Mißerfolg sind nicht immer vorhersehbar: Tiefsinn und Plattitüde wohnen in den Untiefen des Meeres der miteinander verknüpften Bedeutungen beieinander.
Für seine Auseinandersetzung mit medialen Bilder hat Hanimann ein sehr umfangreiches Bildarchiv aus Zeitungs-, Buch- und Filmstillvorlagen angelegt, in dem er die unterschiedlichsten Merkwürdigkeiten versammelt hat. Vielfach wollen solche medialen Bilder einen Zustand, ein Ereignis oder eine Atmosphäre dokumentieren. Was sie einfangen ist aber weit mehr als bloß das eine Ereignis. In Bildern sedimentieren sich Haltungen und kulturelle Einstellungen über die impliziten Inszenierungsgewohnheiten. Diese lassen sich über Bildbearbeitungsschritte sichtbar machen, indem man schrittweise die Dichtigkeit der eingeschlossenen Information filtert und verändert. Es stellen sich dann Löcher, eigenartige Fehlstellen, unerträgliche
Hervorhebungen und andere Verwerfungen ein. Denn mediale Bilder sind zusammengesetzt aus Bestandteilen, die sich figurativ und zugleich abstrakt deuten lassen. Wenn die formale Basis der Bilder, ihre Aufrasterung für den Druck, ihr Bestehen aus unterschiedlichen Zusammenballungen von Punkten in unterschiedlichen Dichtigkeiten präsent gemacht wird, dann ändern sich die Gewichte der Zweigleisigkeit. Reduziert man die Punkte oder verstärkt sie, verändert die harten Ecken und Kanten, dann kippt die gegenständliche Deutung, und man spricht auf einmal von einer überbordenden oder um sich greifenden Schwärze, von einer weißen Leere, von Formlosigkeiten, breiartigen Ausdehnungen, an und abschwellenden Farbrinnsalen, von latenten Mustern. Die Wirklichkeitsdurchdringungen werden zu einem Dickicht oder einer bildlichen Wüste. Besonders paradox mutet hierbei an, dass unsere Erfahrung im Umgang mit Bildern unterlaufen wird: wollen wir etwas genauer sehen, schauen wir ein Bild von nahem an. Im rastermanipulierten Bild geht aber in der Nahsicht jegliche Übersicht und Kontrolle über das Bild verloren, erst aus der Ferne gewinnen wir reduzierte gegenständliche Lesarten zurück.
Da Hanimann sich in seinem Werk für die Fallstricke oder das Schicksal von Sinn in unserer sozialen Kommunikation interessiert, wird er in seinen Bildmanipulationen zu einem Zeremonienmeister für Sinn. Wie kommt Sinn zustande, wie kann Sinn auch wieder verlustig gehen, sich auflösen, zu Halbsinn oder Unsinn werden? Wie passen Hände, Arme und Beine oder irgendwelche Körperhaltungen und Körperdrehungen in den unterschiedlichen Dichtigkeiten unserer sozialen Räume und sozialen Begegnungen zusammen, wie werden aus solchen Körperbewegungen Gesten von Zu- oder Abwendungen zu Anderen? Wie wird aus der Anhäufung menschlicher Bewegungen ein interpretierbarer Handlungszusammenhang, ein Miteinander verschiedener Kräfte? Wie können wir aus den Bildern Sinn und zugleich Unsinn herauslesen, wenn wir bei ihren unterschiedlichen Elementen keine Anleitungen für Zusammenhänge finden können? Zwar versuchen wir, durch sprachliche Beschreibungen den Sinngehalt von Bildern hervorzuheben, merkwürdigerweise ist aber gerade das Unsinnige in Bildern das häufig besonders Erinnerte.
Bilder lagern sich ein in unser sozial mediales Gedächtnis. Jeder Einzelne ist altersabhängig an der Atmosphäre bestimmter Bilder besonders interessiert, weil sich in ihnen ein kultureller Umbruch, eine Generationsmarkierung anzeigt, und speichert sie unbewusst ab. Ein Teil der Informationen geht aber im Verlauf der Jahre verloren. Wir erinnern nur noch Fragmente dessen, was wir ursprünglich einmal gesehen haben. Ein solcher Verlust lässt sich mit dem Informationsverlust bei bildlichen Eingriffen parallel schalten.
Diesem beständigen Verschieben der überkommenen und der erinnerten Dichtigkeiten, diesem komplexen Gebilde von Sinn, Erinnerung und Unsinn geht Hanimann in seinen Bildkonstruktionen nach.

Rolf Hengesbach