Franziska Sartorius
January 28 – March 8, 2024
1. Die Malereigeschichte hat sich immer schon mit dem Außen, mit der Sichtbarkeit der Dinge und der Menschen über ihre Oberflächen beschäftigt. In jüngster Zeit, da das soziale Miteinander immer stärker über das Äußerliche gesteuert wird und die Möglichkeiten zur Manipulierbarkeit der Außenseiten auf allen Feldern zugenommen haben, scheint die Betonung dieser Außenseite noch wichtiger geworden zu sein. Das Wort ‚Attraktivität‘ wurde zur universalen Beschreibungsformel und –norm in unserem Miteinander.
In Franziska Sartorius‘ Malerei steht dagegen die Innenperspektive im Vordergrund und bei den zwangsläufig darzustellenden Elementen der Außenseite das Ungeschminkte, das sich nicht am Anderen Orientierende, sondern vielmehr das bei sich selbst Suchende.
2. Dem eigenen Selbst nicht ausweichen, immer wieder einen Anfang starten und eine schonungslose Selbsterforschung betreiben, ist das künstlerische Projekt von Franziska Sartorius. Sie verzichtet auf erzählerische Komponenten, beschreibt keinen konkreten Raum, sondern konzentriert sich auf die Selbsterforschung, wobei Selbsterforschung und –bedrohung nah beieinander liegen.
3. Wie kann man innere Stimmungen in Malerei umsetzen? Im Gesichtsausdruck, in der Körperhaltung können sie sich ausdrücken, auch Farben und ihre Akzentuierungen können Stimmungen andeuten. Trotzdem bleibt das Problem, wie man das nicht direkt Greifbare in eine Sichtbarkeit bringen kann. Das Äußere muss malerisch in eine Porosität versetzt werden, um eine Durchlässigkeit auf das Innere zu ermöglichen, es muss rau werden, die vorherrschende Glätte muss vermieden werden.
4. Wenn wir uns heute mit dem Selbst beschäftigen, so geschieht dies ausschließlich über mediale Vermittlung, über Selfies oder social medias. Es scheint so, dass wir den direkten Zugang zu uns selbst verloren haben. Wir artikulieren soziale Posen, wollen gefallen, bevorzugen Posen als Inszenierungsweisen statt einer langsamen Selbstaufschließung.
5. Bei solch einem Malereiprojekt muss das Äußere aus einem inneren Gefühl geschöpft werden und nicht von einer fotografischen Vorlage oder vom Blick in den Spiegel. Kein festes Schema darf hier vorgegeben werden, die malerische Gestaltung muss das eigene Gesicht und den eigenen Körper neu schöpfen, das Selbstgefühl für die eigenen Proportionen muss immer wieder neu ausgerichtet werden, von Bild zu Bild kann es daher nur Ähnlichkeiten geben. Wie groß sind die Augen, die Nase, wie legt sich der Mund, wie lang reckt sich der Hals, wie weit streckt sich das Kinn vor? Wie legen sich die Haare, wie akzentuieren sie sich? Wie verkrampft sich die Schulter, wie hängen de Arme? Wie gebe ich dem Gefühl Ausdruck, dass ich in meinen Körper eingezwängt bin und mich doch aus ihm befreien kann? Wie nehmen Augen, Mund, Nase, Ohren, Haut Kontakt mit der Welt auf, um sich im Gegenzug auch wieder der Welt zu entziehen?
6. Wie kann ich aus der Weite des seelischen Raumes heraus mich auf die Erfordernisse der Welt einstellen und meinen Lebensweg gehen? Franziska Sartorius greift die Identitätsproblematik nicht über den sozialen Raum, sondern über die mannigfaltige Bezogenheit auf sich selbst auf. Das ist schwer auszuhalten, weil die Projektionen, das Abladen auf Andere, entfällt. Gleichzeitig kommt dadurch aber auch die mögliche Ganzheit des eigenen menschlichen Lebens in den Blick, man erfasst sich in der Ansprache an sich selbst nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in Bezug auf die Vergangenheit als jüngerer Mensch und auch in Bezug auf die Zukunft, auf das eigene Alter und Kranksein.
7. Wie ist dies alles als ein Projekt der Malerei möglich? Wie kann Malerei die Seele fassen? Bei Sartorius gelingt es über die Farbe. Die Farbe muss atmen. Dazu muss sie zu einem Fast-Entschwinden gebracht, minimale Spuren als Widerstände hineingetragen werden, immer wieder Richtungen geändert, Striche nur angedeutet und zugleich umgewendet werden. Striche müssen zur Selbstauflösung gebracht, immer wieder unterschiedliche Schwankungen in die Farbe hineingelegt werden. Die Farbe muss sich ständig abwandeln und mit kontrastierender Farbe in Verbindung gebracht werden. Sie muss sich mitunter in die Helligkeit entziehen, gleich einer Lichtmembran, Helligkeiten filtern und andererseits aber auch mit der Farbe erglühen, in Aufwallungen geraten. Sichtbarkeiten sind nur anzudeuten und zugleich zum Verschwinden zu bringen. Sartorius entscheidet sich in der Regel für eine recht grobe Leinwand. Wenn sie in diese die Farbe zuerst vorsichtig einmassiert und dann fast vollständig wieder wegnimmt, entsteht in den Vertiefungen ein Untergrund, der etwas in Schwellung bringt, das auf der Oberfläche gar nicht vorhanden ist. Dadurch wird auch ein Analogon zur menschlichen Haut hervorgerufen, die einerseits abgeschlossen und doch aus dem Untergrund aufnahmefähig ist. Man kann das Seelische nicht an Details festmachen, man muss Latenzen über die Materialität der Farbe zustande bringen und die Farbe selbst zugleich immaterialisieren.
8. Wie kann man die Feinde in sich, die Antagonisten hervorrufen, aushalten und doch dann auch wieder zum Verschwinden bringen? Sind sie wie bei König Blaubarts Burg in verschiedene Zimmer einzusperren und doch zugleich mit der Weite der Welt, über Fenster in Verbindung zu halten? Da Blaubarts Burg ein Ensemble aus Zimmern ist, die alle jeweils die Wahrhaftigkeit des einzelnen seelischen Lebenszustandes zum Ausdruck bringen, ist eine Ausstellung von Sartorius Bildern wie ein Panorama des offengelegten Seelenlebens.
Rolf Hengesbach