Björn Siebert
October 27 – December 13, 2024
In unserer Ausstellung „Youth Worshippers“ zeigen wir in zwei Bildblöcken einen neuen fotografischen Werkzyklus von Björn Siebert: auf 150 Photos entfaltet sich eine Welt sommerlicher Selbstinszenierungsdarstellungen heutiger Jugendlicher.
Der Sommer ist vor allem für junge Menschen eine Zeit der Freiheit. Er erlaubt nicht nur das ausgreifende Sich-Bewegen und Ruhen im offenen, landschaftlichen Raum, er lädt auch zur Freizügigkeit ein. Die Darstellungen haben etwas Spielerisches und Zufälliges, gleichzeitig scheint in ihnen eine Verdichtung von Momenten auf, in welchen menschlicher Ausdruck und Körperlichkeit zu einer Einheit verschmilzt, so dass hinter diesen Bildern Tiefe und Wesen menschlichen Daseins und Empfindens schimmert. Aus den Bildern wird überdies deutlich, dass es eine grundlegende Bezogenheit auf unseren Umraum gibt, der Bestandteil des menschlichen Daseins ist.
Bei der ersten Begegnung mit den beiden Bildblöcken ist zunächst die Überfülle überwältigend. Die Bildmotive scheinen sich in ganz unterschiedlichen Richtungen zu entfalten, nur die Entspanntheit des Sommers bildet eine Gemeinsamkeit. Es gibt jedoch nur eine begrenzte Zahl von Akteuren, die immer wieder auftreten: vier Frauen und ein Mann. Siebert bildet zu den einzelnen Personen Cluster von sechs oder sieben Bildern eines Neben- und Übereinanders, um in lockerer Assoziation Bindungen im Miteinander von Mensch und Umraum, zugleich Unterschiedlichkeiten und Stimmungsveränderungen bei den Personen deutlich zu machen. Es gibt keine zusammenhängende Erzählung, nur vereinzelte Aktionen, die davon künden, dass man in der Entspanntheit des Sommers ganz frei in der Wahl des Zu-sich-Kommens im Sinne eines extrovertierten Ausagierens oder eines Sich-Besinnens, Innehaltens ist.
Ausdruck und Körperlichkeit gehen eine enge Verbindung ein. Der Körper ist nicht äußeres Objekt, auch nicht in den Nacktszenen, sondern originär Ausdruckswesen. Auch wenn vielleicht niemand im äußeren Umfeld anwesend ist, spielt doch der imaginäre Zuschauer eine Rolle: Welcher Stolz, welche Verschämtheit oder Verzagtheit, welches Suchen nach sich selbst wird zum Ausdruck gebracht?
Man kann an dem Zyklus gut beobachten, dass Licht und Schatten weder Außenphänomene unserer Welt, noch formale bildliche Eigenschaften sind, sondern dass die Intensität des Lichtes und sein Fehlen die Ausdrucksseite des Gesichtes oder des Körpers selbst wesentlich mitbestimmen, als ob das Licht zum Menschen dazugehört und er sowohl das Helle wie auch das Dunkle in sich einschließen und es aus sich heraus entlassen kann.
Außerdem spielt die Weite oder Enge des sichtbaren Raumes jeweils eine Rolle für die Einordnung einer Person. Wie verbinde ich mich mit dem Raum, lasse mich auf ihn ein. Wie sichtbar fühle ich mich in dem Raum, wie geschützt? Wie selbstverständlich gehöre ich diesem Raum zu. Wie bilde ich den Raum zu der Akzentuierung eines Ortes als eines Identifikationspunkten für mich aus? Wie lege ich Orientierungen im Sinne der Differenzierung von körperlichem Oben und Unten in der Spannung von Kopf zu Füßen, von Himmel zu Boden, in der Akzentuierung meiner Kleidung fest? In diesem offenen Raum kann ich mich aus meinen Hüllen heraus strecken, zusammenziehen, krümmen, hocken, kauern.
Photographien sind momenthafte Ausschnitte aus einem komplexen Geschehen. Sie zeigen uns dennoch unterschiedliche Aspekte von Zeitverläufen: jede Bewegung von uns, jede Anspannung des Gesichtes ist auf nachfolgende Zeitereignisse gerichtet. Diese können die eigene Befindlichkeit, das eigene Weiterleben, das In-sich-gekehrte-Beisichsein, das Ausklinken aus den äußeren Taktungen fremder Ereignisse sein, es können Zuwendungen an den Anderen oder an Dinge sein, welches sich im bloßen Ausgreifen der Arme oder im Umschließen äußern kann. In der Vielfalt der Momente liegt das Auseinanderfalten einer Vielfalt von Stimmungen, die unmerklich ineinander übergehen und die die Photographie stärker voneinander trennt und gegenüberstellt. Jeder Moment ist verbunden mit einer Bewegungshaltung des Körpers, der die Ausdruckshaltungen ununterbrochen begleitet und ins Sichtbare überführt.
Dem Zyklus liegen Photosessions zugrunde, die Björn Siebert mit Schauspielern und Künstlern über mehrere Sommer hinweg inszeniert hat. Das professionell Inszenatorische tritt in den Hintergrund, weil der Versuch unternommen wurde, die Kamera unsichtbar zu machen, sie als Instanz, vor der man sich feiert, auszuschalten und eine authentische Unbeobachtetheit zu erreichen.
Siebert entwirft in seinen beiden großen Blöcken eine Grammatik von Bindungen, Verlinkungen oder Gegenkoppelungen von Mensch, Natur, Umraum, Handlung, Ansprache, Situativität, Distanz und Nähe. Visuell bildet es sich in vom Betrachter frei wählbaren, blockartigen Untereinheiten von sechs oder sieben Bildern ab. Die Genres von Porträt, Stillleben, Landschaft, Personenstück gehen frei ineinander über und knüpfen offene Bezüge zueinander, wodurch die klassischen Grenzen zwischen ihnen aufgehoben werden.
Bei einer Reihe von Bildern tritt das Handy als Akteur in das Handlungsspiel. Sich in der sommerlichen Offenheit zu ergehen und mediales Selbstbeobachten gehen nahtlos ineinander über.
Sieberts intensive Beschäftigung mit den Inszenierungsgewohnheiten der Jugendgeneration erfährt in dieser Werkgruppe eine andere Fassung als in seinen Remakes, in denen er Verdichtungen und gleichzeitig Verschiebungen der perspektivischen Gerichtetheit und Adressierungen darlegt, die er aus vorfindbaren Dokumenten im Netz aufgreift und dann bildlich monumentalisiert. Hier greift er hier zum Mittel der Simulation. Er selber bestimmt die Inszenierungsweisen, um noch näher an den Kern dieser schillernden Selbstbeobachtungen und Selbstaufführungen der Jugendlichen heranzukommen: verstehen lernen, warum das Selbstwertgefühl der jungen Generation sich fast ausschließlich in und mit den Medien artikuliert. Die Medien greifen in die Ausbildung des Selbstwertgefühls aktiv ein und überformen die private Selbstbespiegelung mit sozialen Rückkoppelungsmechanismen, bei denen die Anderen als ständig anwesendes fiktives Publikum mitwirken. Sehen und Gesehenwerden scheinen sich zu verschmelzen. Gleichzeitig schieben sich die eigenen Möglichkeiten mit denen der anderen ineinander. Selbstsetzung und Nachahmung liegen immer näher beieinander. Der Grad zwischen dem Wesentlichen, dem Verdichteten und dem Zufälligen, dem der bloßen Situation Anheim-Fallenden wird immer schmaler. Der Einzelne in seiner Besonderheit ist immer weniger vom Allgemeinen, von den Praktiken und Haltungen seiner Generation zu trennen, obwohl er dies doch möchte.