Ulrich Wellmann
August 24 – September 25, 2015
Das künstlerische Werk von Ulrich Wellmann wird der radikalen Malerei zugerechnet, einer Bewegung, die Ende der siebziger Jahre parallel in New York und Deutschland entstanden ist. Im Vordergrund steht das Bild mit seinen Grundelementen Bildträger, Malmaterial und Malbewegung. Diese werden in ein streng kontrolliertes und reflektiertes Verhältnis zueinander gesetzt. Für die meisten radikalen Maler stehen die unterschiedliche Ausdruckskraft der Farbe und der Malprozess im Vordergrund ihrer Untersuchungen.
Seit Anfang der Achtziger hat Wellmann sein Werk kontinuierlich entwickelt. In den ersten Jahrzehnten konzentrierte er sich auf das Dialogverhältnis zwischen zwei Farben, von denen eine den Bildgrund ausformulierte, während die andere Farbe sich mit wenigen, freien Akzentuierungen eines kurzen Pinselstriches in den Bildgrund hineinsetzte. Wellmann betonte das Berührungsverhältnis der beiden Farben in ihrer materialen Verlaufsform und in ihrem Ton. In den letzten Jahren ist dieses Verhältnis immer offener geworden. Die Freisetzung der Malbewegung spielt eine größere Rolle und der feste Bildgrund löst sich immer mehr auf, so dass sowohl die Malbewegung wie auch der Bildgrund in ein von Konventionen losgelöstes Verhältnis zur Wand und zum Umraum tritt.
Medialer Vorreiter in diesem Loslösungsprozess ist in Wellmanns Werk das Aquarell, das natürlicherweise die materielle Konsistenz seines Bildträgers freilegt bzw. ihm auf den Leib rückt. Papier entsteht durch Verquirlung und Pressung von Fasern in einem wässrigen Brei. Mit der starken Wässerung des Papiers kann man es zu seinem Ausgangszustand zurückführen. Außerdem legt auch das farbige Pigment durch sein Eindringen in die Oberfläche die Faserstruktur des Papiers frei. Die freie Malbewegung auf der Oberfläche des Papiers und die unterschiedlichen Konzentrationen des aufgebrachten Farbpigmentes können nun so gesetzt werden, dass sie in einen Dialog mit der Papierstruktur eintreten. Dabei kann im Idealfall ein Zustand erreicht werden, der das Malfeld so aussehen lässt, als erzeuge es selbst sein eigenes Malen. Dem Papier werden keine Formen von außen aufgedrückt, sie entfalten sich in den Verwicklungen ihrer materiellen Konsistenz.
Diesen Weg hat Ulrich Wellmann seit einigen Jahren beschritten. Um sich in die materiale Konsistenz des Papierträgers einzufühlen, bearbeitet er ihn vorab, indem er mit Metallwerkzeugen in die Oberfläche einschneidet oder die Kanten bearbeitet und sich dadurch die Papierfläche aneignet. Im nächsten Schritt wässert er das Papier von beiden Seiten. Dann entscheidet er sich für zwei oder drei Farbtöne. Hierbei spielt sowohl die eigene emotionale Stimmung wie auch die äußere Stimmung des Tageslichtes eine entscheidende Rolle. Bei den Farbtönen geht es um den Aufbau einer Spannung, die dann in den Malbewegungen ihren Ausdruck und ihre präzisere Bestimmung erhalten soll, wobei es kein vorher festgelegtes Formprogramm gibt, das etwa von außen an die Farben angetragen wird. Vielmehr dürfen die Farben im Prozess des Malens das Potential ihrer Spannung zueinander entfalten, ohne dass die Findung einer Form dieses Verhältnis festschreibt. Wellmanns Werk ist fokussiert auf die Ausformulierung solcher einzelner Farbschicksale in einem festgelegten Bildfeld.
Im Falle unserer Ausstellung ‚Neun Aquarelle’ hat Wellmann sich entschieden, es nicht bei einem Einzelschicksal zu belassen, sondern eine mehrteilige Arbeit zu starten, die wie bei einem Variationenwerk mit einer Grundstruktur beginnt, auf die Antworten gefunden werden müssen. Grundstruktur der Malbewegung ist im vorliegenden Fall ein vage abgegrenztes Flächenstück, ein leicht zum Rechteck gedehntes Quadrat. Es hat keine exakt geometrische Form, lässt sich aber doch als schwebendes rechteckiges Flächenstück auf den rechteckigen Bildträger beziehen. Bei dem Ausgangsblatt der „Neun Aquarelle. Verbrennen“ hat Wellmann sich für ein vertikales Bildformat entschieden und dieses in seinem unteren Bereich und auf der rechten Seite von hinten mit einem Stichel zahlreich durchstoßen. Das Durchstoßen einer Bildfläche ist, wie man es von Fontana kennt, einerseits ein performativer Vorgang, andererseits aber im Resultat der Konstruktionsakt einer Form. Das Durchstechen einer Fläche ist auch eine Malbewegung. Bei Wellmann lassen sich die Löcher nicht zu einer deutbaren Form zusammenfassen. In der oberen Bildfläche verbleibt ein unbeschädigtes Flächenstück. Wellmann entscheidet sich bei diesem Blatt für Gelb, Braun und Orange als Farben, das ausgesparte Stück wird aquarelliert. Mit offenen Malbewegungen verwebt er die Töne ineinander oder lässt sie auch gegeneinander stehen. Das Braun sinkt in den Bildgrund ein und bildet eine wolkige Basis, in der es farbgesättigte, transparente und farboffene Bereiche gibt. Das Orange erhält sich an wenigen Stellen in reinerer Form und bildet ein Geflecht aus fingerbreiten Adern, die sich vor allem im rechteren und oberen Bereich befinden. Das Gelb hat sich nur als zartere kürzere Aderspur im linken Bereich erhalten. Im zweiten Blatt nimmt Wellmann die rechteckige Malform wieder auf, nur geht sie diesmal nicht aus einem abgegrenzten Bereich hervor, weil das ganze Blatt gewässert wurde. Stattdessen scheint das Pigment sich aus dem Wasser auf dieses Stück Fläche zurückgezogen zu haben. Kontrapunktisch zu dem erdigen Braun und adrigen Rot, den leiblichen Farben des ersten Blattes, steht hier Blau als Farbe des Offenen. Sie setzt sich gegen Schimmer von Violett ab, die den Flächengrund bilden. Das Blau bildet ein hervorgehobenes Geflecht aus offenen kurvenförmigen Wegen, wobei der Eindruck entsteht, als wiederhole sich eine markante Wegform aus dem ersten Blatt, nur um 90 Grad verschoben. Beim nächsten Blatt verschiebt sich die Malstruktur vom linken zum rechten Rand. Blau und Violett des zweiten Blattes wiederholen sich, aus dem ersten Blatt tritt in wenigen verdichteten Zonen am Rand und zur Mitte die Farbe Orange hinzu. Die Freiheit des Blau ist hier nicht auf einzelne Wege verdichtet, sondern in wässriger Auflösung begriffen.
Im nächsten Blatt werden die Farben wässriger, es gibt nur wenige Konzentrationen, das Blau verflüchtigt sich in ein Grau, Spuren oder Wege haben sich ausgedehnt zu Zonen. Das ursprüngliche Malgebilde ist nur vage zu erkennen, aus ihm treten Farbinseln, mitunter zellartige organische Gebilde aus, die sich mit einer gezackten Wand – als Resultat des stehenden Wassers – und einem inneren Kern abzugrenzen scheinen. Man kann gerade an diesen Gebilden gut erkennen, wie Wellmann in seinem Umgang mit Wasser ihm malerische Qualitäten entlockt.
Das fünfte Blatt ist stärker gelblich orange durchstimmt. Blau tritt mittels eines rechteckigen Malgebildes, welches in der Mitte unterteilt ist, im oberen Blattbereich hervor und erweitert sich am rechten Rand nach unten. Es markiert die Malform, die sich fast zum ganzen Bildgeviert auszubreiten scheint.
Im nächsten Blatt sind Blau, Orange, Rot, Braun ganz verschwunden. Grau schichtet sich auf zu verwaschenen Flecken. Zwischen diese treten Spuren eines intensiven hellen Gelb, welches in Umrissen die verkleinerte Malform umschreibt.
Im siebten Blatt verdichtet sich die Malform aus einem wässrigen Untergrund in freien Schwingungen. Zwar gibt es bewegte Spuren, diese scheinen aber in sich angefressen und wie in Auflösung befindlich. Blau ist zurückgekehrt. Obwohl einzelne Stellen hohe Konzentrationen von Farbpigment aufweisen, ist die Farbe nicht aufbauend, sondern eher dunkel gebrochen und zerfallend.
Das achte Blatt ist deutlich aufgehellt. Die Farben Rot, Orange, Gelb, Braun sind zurückgekehrt. Gab es in dem vorigen Blatt den Anschein von Verdichtung, so gibt es hier Verdünnung, so als ob die Farben fast wegzuschwimmen scheinen. Nur an den Blatträndern in abtrocknenden Bereichen scheint sich das Pigment vor dem Wegfließen noch einmal zu versammeln. Blau deutet die Malform an.
Im letzten Blatt ist die Farbe verschwunden, nur etwas Restgrau bildet sanfte Flecken. Der Papiergrund ist massiver, was an den Verletzungen im unteren und rechten seitlichen Bereich ersichtlich wird. Aus diesen tritt ein wenig Rotbraun von der Rückseite hervor. Die Struktur ist dem Ausgangsblatt vergleichbar. Malerei, Farbe, die Gelöstheit der Malgebilde sind aber von diesem deutlich unterschieden.
Die Malform ist ein Flächenstück, welches sich aus dem Bildfeld durch eine höhere Verdichtung von Malbewegungen herauslöst. Sie ist keine Form im klassischen Sinne, nicht eindeutig abgegrenzt und auch nicht von einer einheitlichen inneren Struktur. Mitunter unterscheidet sie sich kaum vom Blattganzen. Dennoch löst sie sich immer wieder von ihm ab. Sie ist darin dem Ich in seiner Welt vergleichbar. Die Malform ist kein konsistentes Ding oder Wesen. Sie ist häufig nur am äußeren Umriss zu erkennen, nicht an einem inneren Zusammenhang. Besteht die Identität von uns Menschen nicht auch zunächst nur aus unserem äußeren Umriss, mit sehr wechselvollen Prozessen im Inneren, was unser Denken, unsere Gefühle, unser körperliches Befinden, unseren Kreislauf, unsere Verdauung betrifft? Und wie stark können wir uns von unserem gesellschaftlichen und natürlichen Umfeld ablösen? Befinden wir uns nicht in einer beständigen Auseinandersetzung zwischen Aufgehen in unserem Umfeld und Sich Abstoßen von ihm?
Ulrich Wellmann hat nach dem Abschluss dem Werk den Titel „Verbrennen“ gegeben. Es gibt keine Anhaltspunkte für eine illustrative Deutung. Verbrennen kann man intransiv (sich verbrennen) oder transitiv (etwas verbrennen) deuten. Unser Leben ist ein Reifungsprozess und ein Sterben. In diesem Stoffwechsel verzehren wir uns, brauchen etwas auf, wandeln etwas um. Die einzelnen Arbeiten weisen immer wieder Verdichtungen, Spuren, Bewegungen, Konzentrationen, Vermischungen wie auch Auflösungen und Verfall auf. Diese Vorgänge müssen nicht nur auf den Einzelnen bezogen gedeutet werden im Sinne von Sich-Selbst-eine-Fassung Geben, sie bewahren und verlieren. Sie können auch auf unsere kulturelle Situation hinweisen, auf gesellschaftliches Angenommen- oder Ausgestoßenwerden. Auch lassen sie sich auf die deutsche Kultur und ihre Vergangenheit beziehen.