Markus Willeke
September 5 – October 23, 2016
Markus Willeke ist ein Maler, der Herausforderungen motivischer und malerischer Art annimmt. Motivisch interessiert er sich für die Umpolungen von Lebensbewegtheiten, wo z. B. ein Bewegungsereignis in eine unvorhergesehene Verschlossenheit oder wo umgekehrt eine Starrheit in eine ganz anders geartete Bewegtheit mündet. Es gibt solche umspringende Differenzen, die nur visuell bzw. unterschwellig erfahren werden. Wollte man sie verbal greifen, müsste man sie als Widersprüche formulieren. Und seine Motive erfordern malerisch Herangehensweisen, für die es noch keine Rezepte gibt. Deutlich wird dies an seiner Herausarbeitung der Fluidität und Wirkkraft der Farbe. Willeke setzt sich immer wieder Situationen aus, in denen er ein unterschiedliches Maß an Kontrolle der malerischen Prozesse entwickeln muss. Und er fällt Entscheidungen für Farbkombinationen und -kontraste, die unerwartet sind. Da ungelöste malerische Fragen sein Suchen und Arbeiten an Motiven antreibt, sind Bilder für ihn immer ein offenes Forschungsfeld.
In seiner Motivwahl von Umschlagpunkten unseres Lebens greift Willeke Flüchtiges, Vergängliches, nicht leicht Greifbares, Schwebendes auf. Eine zerbrochene Scheibe zeigt nicht nur Unordnung, sondern auch neue Freiheitslinien – die Fläche wird zu einer offenen Landkarte von ungeahnten Verdichtungen und neuen Wegen in die Peripherie; auf einer nunmehr schwankenden Fläche führt das zu unvorhersehbaren Reflexen von Helligkeit und Dunkelheit. In solchen neuen Strukturen bekundet sich Augenblicks- oder Momenthaftigkeit. Diese entziehen sich dem zeitlichen Verlauf, dem Erzählen von Zeit und widersprechen dem, wozu Bilder zu dienen scheinen: unsere Vergänglichkeit aufzuhalten. Stattdessen setzen Willekes Bilder Leichtes oder Flirrendes. Sie verdichten Momente, erzeugen Gebanntheit. Unerwartet aufscheinende neuartige Lebendigkeit, das direkte Anspringen seiner Motive kaschiert aber, dass er sich intensiv mit malerischen Grundfragen auseinandersetzt: Was ist eine malerische Fläche, wie kann ein Bildgrund eine malerische Form freigeben, welche visuellen Behauptungen schließt die Entwicklung kontrastiver malerischer Formen ein?
In unserer Ausstellung hat er vier Fragenkreise bearbeitet, die alle an das Selbstverständnis von Malerei rühren: die nach der Selbstentfaltung der Farbe aus ihrer natürlichen Farbbrechung heraus, die nach der Intaktheit von Flächen, die nach scheinbar einfachsten malerischen Setzungen und die nach dem Verhältnis von malerischer Setzung und Bildgrund. Seine Motive sind: Regenbogen, zerbrochene Scheiben, kindliche Fingermalereien auf nassen Scheiben und das Entfalten vegetativer Körper.
Das Phänomen des Regenbogens ist eine Lichtbrechung, die wie bei einem Prisma das weiße Licht in sein Farbspektrum (seine unterschiedlichen elektromagnetischen Wellen) aufspaltet. Diese Wellen werden je nach Farbe in einem unterschiedlichen Winkel reflektiert und erscheinen dadurch in einem Nebeneinander. Die Farbzusammensetzung des weißen Lichtes wird auf diese Weise sichtbar. Bei einem Regenbogen am Firmament bricht sich das Licht der Sonne an den Rückwänden der jeweils einzelnen Regentröpfchen eines Regenschauers. Bei einem Regenbogen in einer Öl-Lache findet die Farbbrechung an der Trennschicht von Öl und Wasser statt. Markus Willeke benutzt letzteres Phänomen als ein selbstreferentielles Motiv von Malerei. Öl ist nicht nur das bevorzugte Bindemittel der Malerei, aus Erdöl wird auch ein Großteil der Farben gewonnen. Insofern bringt der Regenbogen eines Öltröpfchen das Möglichkeitsspektrum des Mediums von Malerei in seine Sichtbarkeit, das Medium Farbe bringt sich als gemalte Farbe zu seiner Selbstdifferenzierung. Anders als bei einem Regenbogen in der Luft mit seiner ordentlichen Farbtrennung gerät beim Öl das Miteinander der Farben in Schwingungen, in ein Durcheinander des Vermischens. Willeke macht die Sprödigkeit und Härte von verdünnter Ölfarbe weich, initiiert ihr scheinbar unkontrolliertes Ausbrechen in eine neue Dynamik, bewahrt dabei aber die Strahlkraft und Reinheit der Farben. Das Aufscheinen des Farbspektrums in einem Halbkreis mutiert bildlich zu dem Vorgang eines freien Entfaltens, zu einem Sonnenaufgang mit seinem freien Licht- und Wärmeschub, zu einer Offenbarung des Lebens am Horizont des Firmaments. Eine zerbrochene Scheibe ist Sinnbild für die Lust an der Zerstörung und dem Verfall von geradliniger Ordnung. Sie ist auch Symbol für die Beeinträchtigung klarer Sicht. Als Motiv eines gemalten Bild ist sie eine Herausforderung für unser Empfinden des Proportionsgefüges einer Fläche, zugleich aber auch eine malerische Herausforderung, denn das Schneidende einer zerbrochenen Scheibe muss auch schneidend ins malerische Werk gesetzt werden, nicht zaghaft oder stückchenweise, sondern schnell und sicher. Gesteigert wird diese malerische Herausforderung durch den Umstand, dass Glas als etwas Durchsichtiges kaum zu malen ist. Deswegen benötigt das Unsichtbare einen Hintergrund. Im zerstörten Zustand wird die Durchsicht durch die feinen Splitter eingetrübt, gleichzeitig gerät auch die plane Fläche aus ihrer Ordnung: die einzelnen Splitter liegen nicht mehr exakt in einer Ebene. Dadurch ergeben sich unterschiedliche Lichtreflexe, je nachdem, wie die einzelnen Splitter dem Licht zugewendet sind. Die zersprungene Fläche zerfällt so in Farbflächen, die die Farbe des Hintergrundes zeigen und in solche, die das helle Licht zeigen. Das Schneidende und Verletzende der einzelnen Splitter wird in der Malerei transformiert in etwas Lebendiges, in ein kraftvolles Lebensnetz, aus dem Licht und Farbe strömt und welches die zerbrochene Fläche mit neuem Sinn auflädt.
Fingermalereien von Kindern auf nassen, kalten Autoscheiben sind kein Versuch, imposante Bilder zu malen. Sie sind Provokationen oder Frotzeleien vor dem Hintergrund baldigen Verschwindens. Dennoch setzen sie Fingerfertigkeit voraus, jeder Schwung und Anlauf muss sitzen, es darf nicht zu viel sein. Denn gut wird das ganze Werk nur, wenn es als Schwebendes das richtige Maß auf der Scheibenfläche hinbekommt. Der Rest der Wirkung ist den äußeren Umständen geschuldet: der Transparenz und Krümmung der Scheibe und dem Licht, welches auf den feuchten Tröpfchen unterschiedlich tanzt. In der Malerei muss dieses Umfeld miterschaffen werden und das Gefühl des schnellen, nassen Fingers darf in der viel zäheren Farbe nicht verloren gehen. Willekes Malmotiv in der Ausstellung sind Totenköpfe. In ihrem kargen Umriss beschwören sie das Ende, in den funkelnden Lichtreflexen, der Dynamik der Bewegung und im Emporschrauben eines atmosphärischen Raumes aus der Dunkelheit eines Inneres heraus wird dies aber zugleich zu einem Freudentanz.
Beim Betrachten von Bildern konzentrieren wir uns auf das Motiv und lassen außer Acht, dass dieses aus einem Umfeld erwächst und an dieses gebunden bleibt, den Bildgrund. Dieser ist nicht bloß die Einheit der ganzen Bildfläche, sondern auch das, wogegen sich die einzelne Bildfigur abstößt oder woraus sie sich erhebt. Bei Willeke ist der Bildgrund ein irrisierendes Leuchten, aus dem das Blätterdickicht einer Maispflanze sich imposant und obszön erhebt. In der Umformung zu einer Undurchdringlichkeit verwandelt sie sich selbst in einen Grund, der stattdessen das Licht als offene Form freisetzt. Oder der Bildgrund strahlt als das helle Gelb der Blüte eines Stiefmütterchens, welches sich gegen das Dunkel seiner Eintrübung im Blatt und gegen das seines Umfeld zu wehren scheint. Ist der Grund nicht zugleich das Dunkel und trägt das Aufblühen nicht gerade visuell seinen eigenen Zerfall mit sich?