Behind – In front

Dieter Kiessling

November 21, 2016 – February 19, 2017

Finger umkrallen das Gehäuse einer Fotomaschine und strecken es dem Betrachter entgegen. Der runde schwarze Trichter in der Mitte wirkt wie ein Schlund, in welchem eine kleine Öffnung in das Innere zu führen scheint. Was verbirgt sich in diesem Inneren und wozu dient dieser Trichter? Will er etwas von außen in das Innere holen – will er etwas von mir vereinnahmen – oder will er aus seinem Inneren etwas nach außen stoßen – will er etwas mit mir machen? Das Umfeld gibt uns dazu keine Anhaltspunkte, denn es ist völlig entleert. Diese Leere um die Maschine überträgt sich auf mich: ich bin ihr ausgeliefert.
Ist diese Fotomaschine noch ein Instrument, mit dem etwas von der Welt als Bild festgehalten werden kann? Oder ist die Maschine ausschließlich auf mich gerichtet? Wer löst sie aus? Sind es die Finger, die aus dem Nichts die Maschine zu greifen scheinen, wo ist der zugehörige Leib, vor allem, wo ist der zugehörige Kopf? Die Finger scheinen noch zu einer Hand zu gehören, auch ein Arm oder eine Schulter lässt sich erahnen, aber was kommt dann? Haben sich hier menschliche Glieder verselbstständigt? Existieren sie als ein unabhängiger Klon oder überkommt mich in diesem unwirklichen Gegenüber die Vorstellung, die Finger könnten meine eigenen Finger sein, wie in einem Albtraum: Meine Glieder haben sich von mir entfernt und wollen ein Bild von mir abgreifen?
Um die Finger und die Fotomaschine herum ist nichts außer zwei farblichen Streifen wahrzunehmen. In der unteren Hälfte ein grauer Streifen, in der oberen ein weißer. Kann man sie als Raum bildend interpretieren? Ist das Grau der Boden und das Weiß der Himmel oder die Leere oder eine immaterielle Wand? Wie ist in einem solchen klinischen Raum Leben möglich? Ist es ein Laborraum zu meiner Selbstbespiegelung oder meiner Selbstpreisgabe? Wer ist hier wem in welcher Weise zugewendet? Bin ich mir selbst, bin ich der Maschine oder ist die Maschine mir zugewendet? Und worauf läuft das Ganze hinaus, beherrsche ich noch die Maschine oder beherrscht sie mich? Und in welchem Raum befinde ich mich als Betrachter, bin ich in dieses Labor hineingezogen?
Auf dem Objektiv erkennen wir, dass die Schrift in Spiegelschrift abgebildet ist. Das dritte Element zu den Fingern und der Fotomaschine ist also ein Spiegel. Spiegel dienen dazu, mich selber anzusehen, zu überprüfen, in welchem Zustand ich mich befinde, wie ich von anderen Aussehenszuständen meiner selbst abweiche und wie ich mich entsprechend aufzurichten habe, um der Vorstellung meiner selbst bei starken Abweichungen wieder nahe zu kommen. Spiegel sind Instrumente der Selbstannäherung. Was für eine paradoxe Situation liegt hier aber vor: jemand befindet sich im Gegenüber zu einem Spiegel und wird nicht sichtbar! Nur seine Finger und die Kamera, die das Spiegelbild des Fotografierenden festhalten soll, erscheinen im Bild. Dieses Bild mit dem nicht sichtbaren Auslöser des Bildes kann ich als Betrachter anschauen. Dabei befinde ich mich in genau der Position vor der Kamera, in der sich bei der ursprünglichen Aufnahme der Spiegel befunden hat. Bin ich als Betrachter austauschbar mit dem Spiegel? Spiegel sind eigenartige Gegenstände: Sie erzeugen Bilder, die nicht bleiben. Bin ich im Austausch mit dem Spiegel in der gleichen Weise immaterialisiert wie das Spiegelbild im Spiegel?
Der Spiegel ist außer über die Spiegelschrift nicht als Objekt erkennbar, denn man sieht seine Grenzen nicht. Ist er unbegrenzt ausgedehnt und hat sich infolgedessen die Welt immaterialisiert?
Dient die Fotomaschine dazu festzuhalten, was es in dem unbegrenzten Spiegelreich zu sehen gibt? Warum bleibt aber der Auslöser der Kamera, der Körper hinter den umklammernden Fingern unsichtbar?
Eine Fotomaschine hält nur einen Augenblick und auch nur einen Ausschnitt von der Welt fest. In der Auseinandersetzung mit einem Spiegel hält sie nur dessen immaterielles Bild fest. In dieser Beschneidung des Kontinuums der Zeit auf einen Moment, der Ausdehnung des Raumes auf einen kleinen Ausschnitt und der Wirklichkeit auf das Immaterielle eines Spiegelbildes, ist es vorstellbar, dass sich auch dasjenige, welches die Ganzheit, Vollständigkeit und Wirklichkeit unserer Welt zu garantieren scheint, dass sich unser sinnlich wahrnehmender und bewegender und orientierender Körper sich aufgelöst hat? Dass unser Körper in seiner Anwesenheit seine Abwesenheit herbeiführt?
Oder führt hier die Technikmaschine unsere Auslöschung herbei? Sind die auslösenden Finger der Rest, der in einer Kafkaesken Welt von uns bleibt, nachdem sich die Welt, andere Menschen, die Wirklichkeit von uns entfernt haben? Dieter Kiessling hat eine Professor für Medienkunst inne und ist derzeit Rektor der Kunsthochschule Mainz.

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