PETER BÖSENBERG

Blindgänge

11 April – 17 June, 2011

Nicht nur der Film, auch das einzelne photographische Bild kann Geschichten erzählen. Das Bild kann den wesentlichen Moment eines Geschehens oder seinen zentrale Ort festhalten, an dem die maßgeblichen Akteure versammelt sind und die möglichen Auswirkungen sichtbar werden. Das photographische Bild kann ein Geschehen oder eine Situation in seinen Mittelpunkt rücken und das weitere Umfeld ausblenden. Die photographische Kamera wohnt hier dem Ereignis bei, sie fängt es ein.

Es gibt noch eine andere Form von narrativer Bildlichkeit. Hier liegt nicht ein äußeres Geschehen oder eine Situation in der Wirklichkeit vor, welches die Kamera aus dem Umfeld herausschneidet, hier fügt sich ein Geschehen erst im Bild der Kamera zusammen. Das Bild erschafft hier die Bühne, auf dem sich Akteure zusammenfinden. Erst durch das Bild erkennen wir, dass eine Konstellation der äußeren Wirklichkeit sich auf der Bildfläche zu einer Erzählung kurzschließt. Es sind nicht die Einzelbestandteile für sich, sondern die Relationen zwischen den einzelnen Dinglichkeitsstücken und –ausschnitten auf dem Bild, ihr jeweiliges Bildgewicht, welches sich zu einer Bilderzählung entpuppt.

Die Photoarbeiten von Peter Bösenberg gehören dem zweiten Typus narrativer Bildlichkeit an. Es sind Bilder, die die unsichtbaren Geschichten von Dingen in den vernachlässigten Zonen unserer Städte zum Sprechen bringen. Peter Bösenberg hat Film an der Hochschule für Medien in Köln studiert, mehrere Filme inszeniert und Drehbücher geschrieben. Sein Auge ist auf das unterschwellig Suggestive und Evokative gerichtet. Ihn interessieren nicht die offensichtlichen Ereignisse an der Oberfläche sondern das, was aus der genauen Beobachtung aus dem Verborgenen heraus sich entwickeln kann. Das Narrative seiner Bilder ist keine explizite Geschichte, es gibt hier keine offensichtliche Handlung, es werden Vorstufen dazu angezeigt. Es gibt hier Facetten, Teilstücke von Dingen, die miteinander aufgrund ihrer formalen Auffälligkeit in einen kontrastiven Dialog zueinander treten. Dieser Dialog ist allerdings so angelegt, dass er zu keiner Handlung anwächst. Dafür fehlt den Bildern der Raum. Für fast alle Bilder Bösenbergs ist charakteristisch, dass er den klassischen tiefengestaffelten Bildraum nach hinten abschneidet. Ein Geschehen auf einem Bild kann sich nur entwickeln, wenn es ein ausreichendes Umfeld hat. Rein bildtechnisch formuliert ist dies der Mittelgrund bzw. in der vertikalen Aufrichtung des Bildes die Bildmitte. Der Vordergrund bzw. die untere Bildebene dient zum Bildeinstieg, setzt Rahmenbedingungen und die Ortsqualität des Bildes, der Hintergrund bzw. die obere Bildebene gibt den Ausblick. In Bösenbergs Bildern gibt es keinen Mittelgrund und auch keinen Hintergrund. Es sind flache Reliefräume, in denen dicht gedrängt verschiedene Wirklichkeitssphären und –zugehörigkeiten sich überschneiden. ´

Die dinglichen Bildakteure haben hier keinen Entfaltungsraum, in dem sich ein Geschehen ausspinnen könnte. Sie stehen in einem kontrastiven Entgegensetzungsverhältnis, und nur wir Betrachter können uns ausmalen, wie wir diese Konstellation zu einem Geschehen in einem erweiterten Handlungsraum ausmalen können. Es könnte eingewendet werden, dass Bösenbergs Bilder ein solches Ausmalen einer Geschichte gar nicht zulassen. Bei seinen dicht gedrängten Raumfolgen, bei den teilweise dicht voll gestellten Szenen gibt es gar nicht die Möglichkeit ein Geschehen einzupassen. Auf ihnen hat sich alle Unordnung, Vernachlässigung, überlagernde Vielfalt, das Ausrangierte des städtischen Geschehens niedergeschlagen, so dass hier ein „narratives Aufräumen“ auf diesen Bildbühnen ganz zwecklos sei. Eine solche Betrachtungsweise verkennt, dass es in den Bildern nicht darum geht, den Dingen ihre üblichen Zwecke zu unterlegen. Ihr Akteursein gewinnen die einzelnen Elemente nicht aus ihren üblichen Gebrauchsweisen sondern aus ihrer formalen Rolle auf dem Bild, die durch Form oder Farbe oder Helligkeit bzw. Dunkelheit und Anordnung zu ihrem Nachbarn erwachsen. Im Bild erhalten sie daher ein völlig neues Leben. Hier kann gerade das Zerbrochene, Beschädigte, Defekte zu einem neuen Hauptakteur werden. Wie kann das sich Selbst Überlassene neue, eigene Regeln seines Lebens und Weiterlebens ausbilden? Dies wird möglich durch eine sorgsame Austarierung der Bildgewichte in ihrem Verhältnis zueinander. Bösenbergs Bilder sind nicht einfach Ausschnitte aus einer Wirklichkeit sondern bildliche Neusetzungen dieser Wirklichkeit. Diese Neusetzung wird hier ähnlich wie im Film durch eine besondere Lichtregie erzeugt. Das Licht ist eine Art Verlebendiger und fügt die Bestandteile zueinander. Sein subtiler Einsatz ermöglicht denn auch, dass in manchen Bildern der Schatten, das Ungreifbare zum eigentlichen Mitspieler wird.

Bösenbergs Bilder sind Bühnenräume mit Wirklichkeitsstücken, Aufführungen eines Lebens, das wir selber nicht unter unserer Kontrolle haben. Seine Bilder kehren unsere Sicht auf Ordnungen um. Sie wenden sich gegen unsere Vorlieben für das Aufgeräumte, Geplante, eindeutig Inszenierte. Sie zeigen, dass Lebendigkeit in unserer Welt sich herstellt ohne unser planendes Mittun, dass dies eine reichhaltige Lebendigkeit ist und dass wir uns an ihr beteiligen können, wenn wir imaginativ den emotionalen Anmutungen des Übersehenen folgen.