LUIS GORDILLO

„Organic Logotypes“

September 10 – October 30, 2010

Hengesbach Gallery präsentiert vom 10. September bis zum 30. Oktober 2010 aktuelle Zeichnungen, Bilder und Monotopien von Luis Gordillo. Der 76jährige spanische Künstler lebt und arbeitet in Madrid, 2007 war er Velazquez Preisträger.Im selben Jahr wurde seine Retrospektive in der Reina Sofia zur besten Ausstellung des Jahres in Spanien gewählt. Gordillos Arbeiten sind frisch, provokant und dynamisch. Deshalb steht sein aktuelles Werk den Positionen der jungen internationalen Künstlerszene sehr nah.
Für die drei Ausstellungsräume hat Gordillo drei unterschiedliche Zyklen von Bildern geschaffen. Im ersten wird der Betrachter in bildliche Strudel oder sich drehende Geysire vor ihrem Ausbruch hinein gesogen. Organische Zellen, Augen, Landschaftsstücke drehen sich in unauflösbaren Geweben. Der nächste Zyklus hat mit Schlünden, Verschlingungen oder Zerquetschungen zu tun, mit großen Bildmäulern, die uns aufnehmen oder mit Mahlmaschinen und Vexierspiegeln, die nur ein Flirren übriglassen. Im dritten Zyklus gibt es kleine lyrische Miniaturen, in denen Mikrowelten in ein nervöses Flackern geraten.
Luis Gordillo hat seiner Berliner Ausstellung den Titel Organic Logotypes gegeben. Das Wort Logotype stammt aus dem Druckbereich. Es bezeichnet die Zusammenstellung von Buchstaben auf einer Type im Bleisatz, was Zeit beim Setzen einsparte. Mittlerweile werden auch die Logos von Firmen und Waren so genannt. Logotype hat mit der Prägung von Einheiten, die allein keinen Sinn haben müssen, jedoch zu einem Gesamtsinn beitragen können, zu tun. Es schwankt daher zwischen Sinn und Sinnlosigkeit. Im Gegensatz dazu steht ?Organic‘ für biologisches Entstehen und Vergehen, für eine Wirksamkeit, die ein eigenes Empfinden von sich hat. Zwischen diesen beiden Polen oszillieren Gordillos Arbeiten.
Aus Luis Gordillos Sicht gibt es für den Menschen keinen natürlichen Ort mehr – auch nicht im Bild. Der Mensch muss sich damit begnügen, in der auseinander treibenden Vielfalt mitzuschwimmen. Er erfährt dabei Beschleunigungen, die ihn auch in Stücke zerreißen können oder treibt auf Krisen zu, weil die Versatzstücke, die er ständig produziert, nur eine beschränkte Haltbarkeit haben. Gordillo macht diese Krisen sichtbar, indem er Strukturen fragmentiert und neue Bilder aus Versatzstücken eigener zerstörter Bilder aufbaut. Wucherndes Wachstum und zerstörendes Zerschneiden sowie die Selbstbeobachtung in diesem Treiben ist ein konstantes Merkmal seiner Bilder geworden. Mittels der Photographie hält er Zustände der Bilder fest, friert sie ein, legt sie collageartig neben- und übereinander und reproduziert diese Zustände in anderen Maßstabsdimensionen. Es entsteht eine permanente Reproduktion und Selbstverschachtelung der Bilder. Die Versatzstücke multiplizieren sich und treiben ihrer eigenen Sinnentleerung entgegen. So vollziehen Gordillos Bilder an sich eine ständige Re-Vision ihres Erscheinens. Einzig der Pinsel des Malers ist derKleister, der die Versatzstücke noch für einen Augenblick zusammen hält.
Wie bereits in den sechziger Jahren vermitteln Gordillos Bilder eine Wechselstimmung von Humor und großem Ernst. Comic-Elemente, Übertreibungen, schrille Farben und Formkonstellationen sind Bestandteile seiner Bilder. Andererseits beinhalten sie aber auch die Schwere und den Ernst des Ringens mit sich, des Sich-Auslieferns an das Bild im Aufbau starker Spannungen und innerbildlicher Kontraste. Standen ursprünglich noch das menschliche Gesicht oder der menschliche Körper visuell im Vordergrund, sind es heute nur noch Augen, Grimassen, Schädel- oder Rumpfformen, die sich in seinen Bildern in diffiziler Weise verschachteln. Innerhalb der Betrachtung kann man nicht entscheiden, ob es das eigene Subjekt des Künstlers ist, welches sich zersetzt und zerfällt oder ob Gordillos Bilder die sich auflösende Identität jedes Einzelnen in der Hyperkomplexität der heutigen Welt formulieren.
In dieser Ambivalenz von Selbstfreilegung und Artikulation der Ungefügigkeit und Unverfügbarkeit der Welt steht der Künstler dem Werk Martin Kippenbergers nahe. Während Kippenberger seine zynische distanzierte Sicht auf die Welt zum Ausdruck brachte, offenbart sich in Luis Gordillos Arbeiten neben einer Skepsis jedoch auch immer eine Neugierde auf die vielschichtigen Facetten der sich multiplizierenden Welt.

The Hengesbach Gallery presents recent works of drawing, painting and monotype by Luis Gordillo, from 10 September until 30 October 2010. The 76-year-old Spanish artist lives and works in Madrid. In 2007, he was the Velazquez award-winner. In the same year, his retrospective in the Reina Sofia was voted best exhibition of the year in Spain. Gordillo’s pictures are fresh, provocative and dynamic. This is the reason why his recent work is very close to positions of the young international art scene.
Gordillo has created three different picture cycles for the three exhibition rooms. In the first room, the viewer gets pulled into pictorial swirls or spinning geysers before their eruption. Organic cells, eyes and bits of landscape spin in inextricable textures. The next cycle is concerned with gorges, intertwinings or crushing, with large picture mouths that absorb us, or with grinding machines and vexing mirrors that leave behind only a shimmer. In the third cycle, there are small-sized lyrical miniatures – micro worlds, that get caught in a nervous jitter.
Luis Gordillo has given his exhibition in Berlin the title ‚Organic Logotypes‘. The word ‚Logotype‘ originates from the field of print. It signifies the setting of letters onto a slug in the hot type that saved time while typesetting. Meanwhile, logos of companies and goods are referred to likewise. Logotype has to do with the coinage of units that do not have to make sense on their own, but may contribute to an overall sense. It fluctuates between sense and senselessness. In contrast, ‚Organic‘ stands for biological becoming and decay, for an effectiveness that has a sensation of its own self. Gordillo’s works oscillate between these two poles.
In Gordillo’s view there are no natural places for human beings any more – not in a picture, either. Man has to be content with floating along in the plurality which is drifting apart. He thereby experiences accelerations that could tear him apart, or he drifts towards crises because the set pieces he constantly produces are only of a limited durability. Gordillo visualises these crises by fragmenting structures and constructing new pictures from his own destroyed set pieces. Rampant growth and destructive cutting to pieces have become a constant property of his pictures. By using photography, he captures the conditions of the pictures, freezes and arranges them like a collage side by side and on top of each other. He reproduces these conditions in other dimensions of scale. Thus, a permanent reproduction and interlocking of the pictures occur. The set pieces multiply themselves and drive towards their own depletion of sense. In this way, Gordillo’s pictures as such perform a permanent re-vision of their appearance. Only the brush of the painter is the paste that holds the pieces together for another moment.
Like in the 1960s already, Gordillo’s pictures communicate a changing atmosphere of humour and great seriousness. Elements from comics, exaggerations, flashy colours and constellations of shapes are constituents of his pictures. On the other hand, they also include the heaviness and seriousness of struggling with oneself, to surrender oneself to the picture in the build-up of strong tensions and inner pictorial contrasts. Whereas originally the human face or the human body were visually in the foreground, today there are only eyes, grimaces, skull and torso shapes that interweave in his pictures in a difficult manner. Within this consideration, one cannot decide whether it is the subject of the artist himself that is decomposing and decaying, or if Gordillo’s pictures formulate the dissolving identity of every individual in the hyper-complexity of today’s world.
In this ambivalence of self-exposure and the articulation of non-amenability and unavailability of the world, the artist stands close to the work of Martin Kippenberger. While Kippenberger expressed his cynical distant view of the world, the works by Luis Gordillo at all times reveal – beside his scepticism -curiosity as well towards the multilayer facets of a world that multiplies itself.

Installation Views

 

Installationviews Hengesbach Gallery, 2010